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›Des Glückes Schmied‹

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Eine weitere Falle für uns Expert*innen durch Beruf ist die individualistische Brille, die uns während unserer Ausbildungen so gründlich aufgesetzt wird. Verbunden mit einer Haltung, dass ›alle alles schaffen können, wenn sie es nur genug wollen‹ wird sie regelrecht gefährlich. Psychotherapie geht davon aus, dass wir in einer vom restlichen Lebensumfeld isolierten Zweierbeziehung zwischen Therapeut*in und Klient*in unsere ›störenden‹ kognitiven, emotionalen und Verhaltensmuster ändern und durch ›bessere‹ ersetzen können. Das Ziel ist meist, innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft wieder gut (oder noch besser) funktionieren zu können. Der britische Psychologe David Smail beschreibt das sehr schön:

[…] psychology has over the past century invented and sustained a magical theology in which it seems that people may choose themselves and shape their future by eradicating their past. Tragedy may be averted by no more, essentially, than wishing that things might be otherwise, and reality is reduced to a set of stories that may be manipulated to result in happy endings. The only thing that people are called upon to do to realise their dreams is to consume, and psychology has been fundamental to the creation of the perfect consumer. […] The strength and integrity of the subject is determined not (as therapeutic psychology would have us believe) by efforts of free will, but by the adequacy or otherwise of the environment (including, crucially, the public societal structures) in which it is located. (Smail 2005: ii-iv, Hervorh. i.O.)18

Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel verdeutlichen: Im Rahmen meiner körperpsychotherapeutischen Ausbildung machte ich auch selbst eine Körperpsychotherapie. In dieser Zeit erlebte ich Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, kaum noch klar zu kommen. Ich verbrachte dann diese Tage zu Hause im sicheren Bett und hoffte, die Krise würde bald wieder aufhören. Verschiedene Ängste, düstere Vorstellungen und Auflösungsgefühle tauchten auf und ich war mir manchmal nicht sicher, ob ich da wieder heil herauskommen würde.

Ich wusste aber: wenn es zu schlimm würde, könnte ich jederzeit meine beste Freundin anrufen, die im gleichen Haus wohnte und als Krisenberaterin arbeitete. Ich war finanziell und beruflich abgesichert, hatte von daher genügend Zeit zur Verfügung, mich frei von existentiellen Sorgen meinem Innenleben zu widmen. Mein Freund*innenkreis und das Netzwerk Stimmenhören waren an meiner Seite. Außerdem fanden die Krisen im therapeutischen Rahmen statt, ich konnte neue Ideen zu den Bedeutungen der finsteren Welten, die mir da erschienen, entwickeln und konnte sie in meinen therapeutischen Prozess einordnen. Äußerst günstige Rahmenbedingungen also, um an mir ›erfolgreich zu arbeiten‹. Auch verstand meine Therapeutin ihre Arbeit nicht darin, mich auf die kapitalistische Realität einzuschwingen, sondern sie war mir eine Stütze darin, mich möglichst selbstbestimmt und kraftvoll mit diesem System auseinandersetzen zu können.

Ich glaube, es wird deutlich, wie anmaßend und verletzend es ist, dieses ›erfolgreiche Arbeiten‹ von allen Menschen zu verlangen, und ihnen bei ausbleibendem ›Therapieerfolg‹ fehlende Motivation vorzuwerfen! Der Großteil der Bevölkerung ist nicht so privilegiert wie ich. Immer weiter verbreitete materielle Ängste, soziale Isolation, (Selbst-)Stigmatisierung, pathologische Erklärungsmodelle und der immerwährende Leistungsdruck sind das Gegenteil von hilfreichen Ressourcen zur Krisenbewältigung! Viel hilfreicher ist es, explizit anzuerkennen, wie entkräftigend und einengend diese Umstände sind und wie sehr sie außerhalb des individuellen Wirkungskreises liegen.

Gegendiagnose II

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