Читать книгу Gegendiagnose II - Группа авторов - Страница 35
Prolog20
ОглавлениеSchon als Kind wusste ich, dass die Irrenanstalt in Arnsdorf ein dunkler, unheimlicher Ort war. Wir machten Späße darüber, wenn sich ein*e Mitschüler*in ›verrückt‹ verhielt: »Der kommst doch aus Arnsdorf, oder?« Späße, die aus der Gemeinheit gespeist sind, die gerade auch Kindern eigen sein kann. Späße, die auch unsere eigenen Ängste vor dem Wahnsinn und der Psychiatrie überdeckten21.
Der Mythos um die Irrenanstalt und eigentlich die ganze verrückte Stadt Arnsdorf blieb der einzige, entfernte Orbit, in dem die Psychiatrie meine Jugend umkreist, bis eine Freundin von mir unter der Last ihrer Welt zusammenbricht, mir in langen Gesprächen, in denen sie übergangslos von Lachen zu Weinen wechselt, das Leid und die Widersprüchlichkeit ihrer Existenz vor Augen führt. Ihr wird später in Arnsdorf eine Borderline-Störung diagnostiziert, womit ich damals nichts anfangen kann, außer dass meine Mutter schluckt, als sie es hört, und meint, dass es also wirklich etwas Ernstes sei. Ich besuche sie in Arnsdorf und stelle fest, wie viel besser es ihr in der Klinik geht – sie wirkt zwar blasser und erschöpfter als vorher, aber wir können wieder ›normal‹ miteinander reden. Die psychiatrische Anstalt, die bis dahin allein eine Quelle von Horrorgeschichten und gemeinen Witzen war, scheint jetzt ein steriler, ruhiger und neutraler Ort zu sein, eine Zufluchtsstätte, ein Rückzugsort und Schutzraum für Menschen in Krisen. Die Klinik in Arnsdorf sieht in Wirklichkeit gar nicht so anders aus, als beispielsweise die Herzklinik in Dresden, die ich gut kenne, da dort nicht nur meine Mutter schon lange als Krankenschwester arbeitet, sondern ich mir auch mal als Hilfskraft ein paar Mark dazuverdiene.