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Krieg, Staat und Gesellschaft im Denken Ulrich Willes

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Willes Denken wurzelte tief im deutschen Idealismus und in der preussischen Militärtheorie. Er war mit der deutschen Staatsrechtslehre und der deutschen, neohegelianischen Geschichtsphilosophie des Fin de Siècle bestens vertraut. Die Elemente dieser Lehre und Philosophie reproduzierte er ebenso regelmässig wie seine Auffassung des Disziplinbegriffs und des Männlichkeitskonzepts. Hier wurzelt auch sein Begriff der Kriegstauglichkeit, der keineswegs utilitaristisch – rein gefechtstechnisch – verstanden werden darf. Krieg deutet er in Übereinstimmung mit der deutschen Staats- und Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts als Überprüfung des erzogenen Männerheers und damit als Ausweis für die Überlebensfähigkeit und Existenzberechtigung nationaler Staaten.20 Vor diesem Hintergrund bewertete er die Entwicklung des soldatischen Männerpotenzials höher als das Entwicklungspotenzial ziviler Erziehung und Bildung der liberalstaatlich verfassten Gesellschaft, welche er nicht ablehnte, aber als Hindernis auf dem Weg zur Kriegstauglichkeit einstufte. «Die allgemeine Dienstpflicht, verbunden mit ernsthaftem Betrieb des Wehrwesens ist das letzte, das höchste Mittel der Volkserziehung in unserer Zeit. Nur dadurch kann die Menschheit männlich und gesund erhalten werden, in einer Zeit, wo das Wohlleben stetig zunimmt und die Kriege so viel seltener, und die Menschheit viel weniger als in früheren Zeiten durch Not und Elend und andre ähnliche Mittel der harten Schule des Lebens zu Männern erzogen wird. Darin liegt die hohe ethische Bedeutung des Wehrwesens, die nicht bloss bestehen bleibt, sondern nur grösser geworden ist, wenn es keine Kriege mehr gibt. Diesen Einfluss auf die Erhaltung der sittlichen Kraft, das heisst auf die Existenzberechtigung eines Volkes, kann ein Wehrwesen nur dann ausüben, wenn bei seiner Erschaffung, das was der Krieg erfordert, das einzige wegleitende ist.»21 Kern der deutschen Staats- und Geschichtsphilosophie war der Glaube, dass mit der «Erhaltung der sittlichen Kraft» die Kriegstauglichkeit erreicht und damit dem Krieg als Bewährungsinstanz Genüge getan werden könne – egal ob siegreich oder geschlagen. Wille war der Überzeugung, dass jeder Staat ein Heer haben müsse, sonst «verfaule er innerlich»: «Das ist eine Binsenwahrheit, die die Geschichte aller Völker in allen Zeiten lehrt. Das kriegstüchtigste Volk ist auch im Kampf des wirtschaftlichen Lebens das stärkste.»22


Drill als Mittel zur Erlangung von Kriegstauglichkeit: Formalausbildung auf dem Waffenplatz Bière (Bild: BiG).

Die Armee wird damit zum Medium der gesellschaftlichen Erneuerung und Regeneration. Dies ist der gesellschafts-, geschichts- und staatstheoretische Hintergrund von Willes Militärpädagogik, welche tief im bellizistischen und militaristischen Glauben an die Funktion der Armee als Erzieherin der Gesellschaft wurzelt. Einer Gesellschaft, welche den geistigen und physischen Fortschritt in den Männern angelegt sah. Mit der «Erziehung des Mannes zum Manne» glaubte Wille die Nation für den kriegerischen und friedlichen Kampf der Nationen um die Weiterexistenz konkurrenzfähig zu machen.

Militärisches Denken in der Schweiz im 20. Jahrhundert La pensée militaire suisse au 20e siècle

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