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4.Exposure-Theologie
ОглавлениеWo ist die schonungslose, widerständige, sich aussetzende Theologie wider alle Vernunft als elementarer Lebensakt der Kirche aller Menschen und als elementare Life Science, eine Wissenschaft mit Option, für die Menschen, gegen Vereinfachung und Banalisierung, für die Komplexität des Über-, Quer- und Hinter-Allem – ein offener Denkraum, in dem in Musing und Abduktion Transformation erwartet wird, eine Wissenschaft, die weiß, dass „Gotteserkenntnis schon immer unthematisch und namenlos gegeben [ist] – und nicht erst dann, wenn wir anfangen, davon zu reden. Alles Reden darüber, das notwendig geschieht, ist immer nur ein Verweis auf diese transzendentale Erfahrung als solche, in der sich immer der, den wir ‚Gott‘ nennen, schweigend dem Menschen zusagt – eben als das Absolute, Unübergreifbare, als das nicht eigentlich in das Koordinatensystem einrückbare Woraufhin dieser Transzendenz, die als Transzendenz der Liebe auch eben dieses Woraufhin als das heilige Geheimnis erfährt.“9
Wo ist Gott? Wo ist Gott in der Theologie? Eberhard Jüngel beschreibt die Situation der Theologie, wie sie in Gesellschaft und wissenschaftlicher Community gesehen wird. „Vielfach und auf vielfältige Weise hat das Reden von Gott den menschlichen Geist in Verlegenheit gebracht. Am Ende einer langen Geschichte des Redens von Gott scheint die Verlegenheit heute zur Ausweglosigkeit geworden zu sein. […] Denn das scheint ausgemacht zu sein. Wir leben im Zeitalter der sprachlichen Ortlosigkeit Gottes. Ihr entspricht die immer noch zunehmende Undenkbarkeit Gottes und die – auch unter ihrem Gegenteil schlecht verborgene – Sprachlosigkeit der Theologie. Diese ist übel dran.“10
Die Theologie ist übel dran, weil sie, auch sie, nicht von Gott sprechen, Gott nicht denken kann, nicht unter den Bedingungen postmoderner Moderne, nicht so, dass das Denken und Sprechen ernst zu nehmen wäre im Kreis der Wissenschaften, eine Relevanz entwickeln würde für den Menschen von heute. Der Theologie fehlt Gott. Selbstverständlich fehlt ihr nicht das Wort, aber was bezeichnet das Wort „Gott“? Was bezeichnet Theologie mit dem Wort „Gott“? Eberhard Jüngel leitet sein Denken und Sprechen von Gott von den Grundsätzen der Sprache und Sprechakte her. „Die Zeichen geben also zu denken. Sie geben jeweils etwas zu denken, nämlich genau das, was sie bezeichnen. […] Das Wort ist also das für die Funktion des Bezeichnens bezeichnendste Zeichen.“11 Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Gott „etwas Unüberbietbares […]: Gott kann alles. Gott entscheidet alles. Gott wirkt alles. Gott ist alles, ist schon immer alles in allem. Ja, Gott ist ‚mehr‘ noch als ‚alles‘. […] Gott ist in jeder Hinsicht perfekt – wobei die temporale Komponente durchaus mitzudenken ist: Gott kann immer schon ganz und gar auf sich zurückblicken, sein Sein ist frei von Werden. […] Gott ist über allem, er ist also auch über uns, er ist uns schlechthin überlegen. […] Was das Wort ‚Gott‘ als Zeichen zu denken gibt, ist dann im Grunde unausdenkbar, ist auch durch Denken nicht zu erfassen, ist nur als das Unbegreifbare zu begreifen.“12 Die Theologie ist übel dran, denn damit steht sie an ihrem Ende. Was ist ihr Inhalt und ihr Anspruch, wenn sich ihr Gegenstand nicht denken lässt? Theologie als Leerstelle.
Jüngel sieht die Theologie an dieser Stelle in der Sackgasse der mächtigen augustinischen Tradition.13 Den Ausweg entdeckt er in einer weiteren Funktion der Sprache neben der des Bezeichnens. Sprache spricht an. „Im Sprachereignis wird vielmehr das Sein eines Sachverhaltes so zur Sprache gebracht, dass es das Sein des Menschen anspricht und dieser durch das ihn anredende Wort aus sich herausgerufen und in dem ihn anredenden Wort zu sich selber gebracht beziehungsweise von sich selber entfernt wird.“14 Gott als eine Funktion, ein Ereignis von Sprache? Wenn Gott sich in der Sprache des Menschen ereignet, ist es nicht mehr möglich, Gott über dieser Sprache und damit über dem Menschen zu denken. Im Sprechereignis „Gott“ sprechen Gott und Mensch und geben sich – die Theorie konsequent weitergedacht – gegenseitig zu denken, gehen über sich selbst hinaus und geben sich Anteil aneinander. Das Evangelium als Zentrum christlicher Theologie verkündet den Menschen Jesus als Wort Gottes. „Das Menschsein dieses Menschen ist für das, was das Wort ‚Gott‘ zu sagen hat, nach neutestamentlicher Auffassung von äußerster Relevanz. Und das nicht nur im Blick auf das Leben, sondern erst recht auf den Tod dieses Menschen. Deshalb haben wir uns bei dem Versuch, Gott als den sich im Menschen Jesus Mitteilenden und Aussagenden zu denken, stets der Tatsache zu erinnern, daß dieser Mensch gekreuzigt wurde, daß er im Namen des Gesetzes Gottes getötet wurde.“15