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10. Entsicherung inmitten von Sicherstellungen

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Verharrt Theologie nicht in der Leerstelle, beharrt sie nicht auf dem gesicherten Raum, wird sie Teil des Tosens, des Zerreibens, des Chaos, des Sterbens und Gebärens, des Schöpfens, wird Teil und Motor des Werdens. Wie praktische Ästhetik nach Ziemer, so denkt auch Theologie „nicht nur über Verletzbarkeit nach, sondern produziert diese selber im Aufbrechen angestammter Verfahren mit und verabschiedet sich damit zwangsläufig aus dem erhöhten Status einer allwissenden Disziplin zugunsten einer Öffnung gegenüber Alltagserfahrungen und künstlerischen Interventionen. Auch das theoretische Selbstverständnis basiert also auf dem Sensorium der Verletzbarkeit. […] Verletzbarkeit […] anzuerkennen und als Moment gesellschaftlicher Organisation zu stärken, ist das Ziel dieser Reflexion. Die Verletzbarkeit des Körpers […] zeigt uns, wie gefährdet die eigene vermeintlich gesicherte Position ist und welchen Wert es haben kann, diese entgegen allumgreifender Sicherheitsdispositive stark zu machen. Die Bezugsgröße der Verletzbarkeit vergegenwärtigt uns eine ästhetische, künstlerische und nicht zuletzt auch zutiefst ethische Haltung, die das Andere und Fremde als solches sichtbar macht, es als Differentes stehen lässt und auf Augenhöhe positioniert.“43

Diese Leerstelle ist der wunde Punkt, die entscheidende Frage für die Theologie, die Kirche, den Menschen. Eberhard Jüngel macht eindringlich deutlich, „daß ein total sichergestellter Mensch aufhörte, Mensch zu sein. […] Ein total sichergestellter Mensch wäre ein bloßes Stück Welt, ein roboterhafter Doppelgänger des Menschen, eine schauerliche Karikatur des Menschen. Denn – und das ist unser positives theologisches Argument, nun auch positiv ausgesprochen – der Mensch ist darin Mensch, daß er sich auf einen anderen als er selbst zu verlassen vermag. Dazu gehört aber, daß er sich selbst zu verlassen vermag. Menschsein heißt: sich verlassen zu können.“44

Theologie in diesem existentiell notwendigen Sinne heißt, die Leerstelle, das Tote zu verlassen, aufzuhören, abgesicherte Leerstellen in die Leere der Undenkbarkeit Gottes hinein zu produzieren, sondern sich im Denken des Glaubens selbst zu entsichern, um sich mitnehmen zu lassen in das Leben und um mitnehmen zu können in die Begegnung des Wortes Gottes. „Nur dem aus sich herausgesetzten Ich ist Gott gegenwärtig.“45 Das gilt analog für die Theologie. Um diese ausgesetzte und aus sich herausgesetzte Wissenschaft zu werden, braucht sie riskante Denkgesprächsräume statt universitär gesicherter Lehrstühle, deren Gestalterinnen sich in Form und Inhalt der Räume der Fermentierung verpflichten. Die Praktische Theologie braucht durchlässige Wissenschaftsräume, die durch die Gegensätzlichkeit von Theorie und Praxis hindurchgehen, sich nicht auf der einen oder anderen Seite gegen die jeweils andere positionieren, sich nicht abgrenzen und isolieren, sondern es zu ihrem Profil machen, selbstverständlich überkonfessionell, interreligiös, interkulturell, interaktiv mit allen theologischen Disziplinen, anderen Wissenschaften, mit den Menschen Aporien nicht zu überspringen, sondern sie zu vollziehen, und darin dem Druck, schnelle und einfache Antworten und Ordnungen zu liefern, widerstehen. Theologie kann Nachdenklichkeit kultivieren als das Denken eigener Wege – öffentlich, in der Gesellschaft, in der universitären Betriebsamkeit, nachdenklich, gar schweigend sich der Schonungslosigkeit des Kreuzes aussetzen, dem Tod und von daher die Wahrheit des Evangeliums suchen, eine Wahrheit auf Bewährung, ratlos mit offenem Ausgang, vielleicht ohne Ergebnis, ohne Trost.

Was fehlt?

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