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III. Strategische Festlegungen der verbandlichen Caritas
ОглавлениеNach intensiven Debatten hat die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes 2007 zur Position des Verbandes zur Ordnung der Märkte sozialer Dienstleistungen strategische Festlegungen beschlossen. Der Titel des Beschlusses lautete „Selbstbestimmte Teilhabe sichern, Märkte ordnen, im Wettbewerb bestehen“. Fachlicher Anspruch der Dienste sei es, „selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen“, dies erfordere, „dass Menschen zwischen unterschiedlichen Angeboten und Trägern wählen können“. Der Wettbewerb sei entsprechend zu gestalten. „Aus Mindeststandards ergeben sich Grenzen für die Beteiligung der Caritas am Wettbewerb.“ Selbstbestimmte Teilhabe werde durch eine subjektbezogene Finanzierung befördert, das persönliche Budget sei „in geeigneten Hilfefeldern“ dafür die beste Form. Das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sei „der bewährte ordnungspolitische Rahmen“, es ermögliche „eine wettbewerbliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen, in der die Wahlrechte der Hilfebedürftigen und eine qualitativ gute und kostengünstige Erbringung sozialer Dienstleistungen durch ein plurales Trägerangebot gesichert werden kann“. „Die Finanzierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ist der Finanzierung über öffentliche Aufträge (Vergaberecht) vorzuziehen.“ Soweit staatliche Steuerung beim Zugang zur Leistungserbringung erforderlich sind, seien hierfür transparente Verfahren erforderlich. Potentielle Interessenkonflikte zwischen Nutzern und Diensten müssten „durch entsprechende fachliche Konzepte und Instrumente der dialogischen Aushandlung bearbeitet werden“. Dabei solle „die selbstbestimmte Teilhabe im Vordergrund“ stehen.6
Dieser Grundlinie folgend zielte das Lobbying des Deutschen Caritasverbandes zu Marktordnungsfragen auf eine Sicherung und Stärkung des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und eine Abwehr von Tendenzen, Ausschreibungen nach Vergaberecht zum Regelverfahren im Sozialbereich zu erheben. Eine Reihe verbandlicher Gliederungen haben erfolgreich geklagt, wenn in Abkehr von den Regelungen des deutschen Sozialrechts, Leistungsträger versucht haben, aus dem Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis auszubrechen und soziale Dienstleistungen nach Vergaberecht auszuschreiben. Da die Befürworter einer verstärkten Nutzung der Vergabe mit vermeintlichen Zwängen des europäischen Wettbewerbsrechts argumentierten und durchaus auch Unklarheiten bei der Interpretation des gültigen Rechtsrahmens bestanden, war es notwendig, sich seitens der Wohlfahrtsverbände dafür einzusetzen, das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis europarechtlich abzusichern. Dies erfolgte auf Brüsseler Ebene gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Die Bemühungen hatten Erfolg; in den Erwägungsgründen sowohl der Vergabe- als auch der Konzessionsrichtline der Europäischen Union von 2014 sind Formulierungen aufgenommen worden, die ein Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis mit offenem Marktzutritt vom Anwendungsbereich beider Richtlinien ausnehmen, ohne dabei den nur in Deutschland gebräuchlichen Begriff aufzugreifen. Die Erwägungsgründe argumentieren mit dem freien Zugang zur Dienstleistungserbringung, der an transparente und nichtdiskriminierende Verfahren gebunden ist.7 Seitdem kann man nicht mehr argumentieren, das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sei mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht nicht kompatibel. Es ist also gelungen, eine Marktordnungsform, die der subsidiären Tradition des deutschen Sozialstaats entspricht, die Wahlrechte sichert und Raum für die Tätigkeit von Wohlfahrtsverbänden lässt, gegen die von einigen Kräften angestrebte Dominanz einer anderen Marktordnungsform zu verteidigen, die – wäre sie zum Standardmodell geworden – all dies gefährdet hätte. Ohne eine ordnungspolitisch fundierte Position, bei einem rückwärtsgewandten Verharren in der vermeintlichen unüberbrückbaren Gegnerschaft des Marktes und des Sozialen, wäre dieser Erfolg in Brüssel nicht zu erzielen gewesen. Alle diesbezüglichen Beschwörungen wären von den Gesprächspartnern auf EU-Ebene als Beweis einer prinzipiellen Gegnerschaft zum Binnenmarkt sowie als Verweigerung aufgefasst worden, sich transparenten und nicht-diskriminierenden Verfahren zu stellen.