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4. Zwischen Tarifbindung und Marktlöhnen
ОглавлениеDie Caritas soll sich nicht nur mit guter Qualität in den Märkten sozialer Dienstleistungen behaupten, sie soll auch ihre Mitarbeitenden gut bezahlen. Hierbei ist sie deutlich besser als ihr Ruf, auch wenn die Umbrüche seit Mitte der 1990er Jahre die Spannungen zwischen Ansprüchen und Möglichkeiten erhöht haben. Unter den Bedingungen eines stark korporatistisch geprägten Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses orientierte sich die Caritas wie die anderen frei-gemeinnützigen Dienstleistungserbringer, die damals in nahezu allen Hilfefeldern ohne privat-gewerbliche Konkurrenz agierten, an der Vergütung des öffentlichen Dienstes. Heute treten auf einigen Märkten sozialer Dienstleistungen auch privat-gewerbliche Anbieter auf, die nicht tariflich gebunden sind bzw. Haustarife abschließen; sie können ihre Leistungen billiger anbieten als ihre tarifgebundenen Wettbewerber. Seit Mitte der 1990er Jahre entstand ein Entlohnungswettbewerb zwischen gemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern und in der Folge auch innerhalb der Wohlfahrtspflege selbst. In den 2000er Jahren war der daraus resultierende wirtschaftliche Druck insbesondere auf Anbieter von Pflegeleistungen ein intensiv diskutiertes Thema im Deutschen Caritasverband. Mit einer Neuordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission wurden Möglichkeiten geschaffen, Tarife nach Regionen und Branchen zu differenzieren, um so eine Anpassung an unterschiedliche Wettbewerbslagen zu ermöglichen. Allerdings sind diese neuen Instrumente der Entlohnungsgestaltung nur in geringem Umfang genutzt worden, weil entsprechende Beschlüsse nicht die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit fanden. In den Regionalkommissionen waren und sind Konflikte zwischen Markterfordernissen und Gerechtigkeitsvorstellungen auszuhandeln. Norbert Feldhoff hat in diesen Auseinandersetzungen den Dritten Weg des kirchlichen Arbeitsrechts verteidigt, dabei aber stets deutlich gemacht, dass dieser nur dann zukunftstauglich ist, wenn dabei das Verhandlungsgleichgewicht der abhängig beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewahrt wird und wenn die unternehmerisch verantwortlich Handelnden und die bischöfliche Aufsicht der „unerlaubten Versuchung“ des sogenannten „Ersten Weges“, einer einseitigen Festsetzung von Arbeitsbedingungen ohne Beteiligung der Betroffenen widerstehen.10
Der Sozialsektor hat als Ganzes den Ruf, schlecht zu bezahlen, das erschwert die Gewinnung von Auszubildenden. Aber das Bild ist deutlich differenzierter, wie am Beispiel der Altenhilfe erläutert werden soll. Erfahrene Fachkräfte der Altenpflege verdienen, wenn sie tariflich entlohnt werden, etwa wie Fachkräfte in der Chemieindustrie, dem Baugewerbe und der Energiewirtschaft. Gehaltsnachteile haben sie vorrangig in den ersten Jahren nach dem Berufseinstieg zu tragen. Allerdings sind bei einem Gehaltsvergleich auch die deutlich unattraktiveren Arbeitszeiten zu berücksichtigen, die in der Pflege mit Nacht-, Schicht- und Wochenenddienst nicht vermieden werden können. Das Friseurhandwerk ist weiterhin ein von Frauen häufig gewählter Ausbildungsberuf. Nach einer Ausbildung zur Altenpflegerin könnten sie bis zum Doppelten dessen verdienen, was im Friseurhandwerk gezahlt wird.
Pflegedienstleitungen verdienen etwa so viel wie Meister im Kfz-Gewerbe oder der Chemieindustrie.11 Manchmal hat man den Eindruck, dass Vertreter der Wohlfahrtsverbände aus einem Übereifer im Kampf mit den Kostenträgern die eigenen Vergütungen in undifferenzierter Weise schlecht reden und damit ungewollt die Probleme der Rekrutierung von Personal noch verschärfen.
Zu den Merkwürdigkeiten der Sozialdebatte gehört, dass den Vergütungen, die im Dritten Weg vereinbart werden, ein schlechter Ruf anhängt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di greift den Dritten Weg der Kirchen an; doch die kirchlichen Entlohnungssysteme, insbesondere die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Caritasverbandes, leisten weiterhin eine nahezu flächendeckende Regelbindung der Entlohnung, die sich an der Entgeltstruktur und den Eurowerten des öffentlichen Dienstes ausrichtet. Ver.di hat mit unterschiedlichen Dienstleistungserbringern Tarife deutlich unterhalb der im öffentlichen Dienst üblichen Vergütung abgeschlossen, um – was sehr verständlich ist – überhaupt zu tariflichen Vergütungen zu kommen. Ver.di bemüht sich derzeit, die gute Beschäftigungssituation zu nutzen, um diese Lücke wieder zu verkleinern.
An dieser Stelle soll auch das heikle Thema der Vergütung von Leitungskräften angesprochen werden. Auch Führungskräfte der Caritas vergleichen ihr Gehalt mit dem, was sie anderenorts verdienen könnten. Das ist auch in Ordnung. Auch an der Spitze kann sich die Caritas nicht völlig vom Markt abkoppeln. Aber hier sollte man es sich nicht zu einfach machen. Auch wenn man zu einem gewissen Maß unterhalb dessen bleibt, was privat-gewerbliche Konkurrenten für ihre Führungskräfte bezahlen, kann man Leistungsträger finden. 20 % mehr Gehalt führt nicht automatisch zu einer um 20 % besseren Führungskraft. Eine Gehaltspolitik für Führungskräfte, die etwas hinter der privat-gewerblichen Konkurrenz zurückbleibt, hat einen Vorteil, der nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist: Er führt zu einer Selbstselektion der Führungskräfte: Die Caritas gewinnt diejenigen, die sich bewusst für einen caritativen Träger entscheiden, auch wenn sie damit monetär nicht das maximal mögliche erreichen. Gut leben kann man ja auch mit Gehältern, die im Vergleich mit anderen Gutsituierten ein wenig zurückstecken.