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3.3.1. Die Ausrichtung der Praxis auf Ziele

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Im IX. Buch seiner Metaphysik weist Aristoteles darauf hin, dass rationale Wesen innerhalb seiner Konzeption von Möglichkeiten auf besondere Weise zu behandeln sind: Da nicht-rationale Vermögen grundsätzlich auf ein Objekt ausgerichtet sind, werden sie aktiv, wenn ein solches Objekt in hinreichender Nähe auftaucht (IX 5, 1014b35–18a9). Für die Vernunft (logos), die sich auf zwei einander ausschließende Objekte zugleich beziehen kann, gilt dies aber nicht, sondern sie kann immer nur eine der verschiedenen in ihr liegenden Möglichkeiten realisieren. „Also“, schließt Aristoteles, „muss etwas anderes das Entscheidende sein; ich meine hiermit das Streben oder die Vorzugswahl. Denn was das vernünftige Vermögen entscheidend erstrebt, das tut es“ (1014a10–12). Diese Stelle fasst auf prägnante Weise die Gründe zusammen, die die Sonderstellung des Strebens in Aristoteles’ Handlungstheorie motivieren: Anders als die Vernunft impliziert ein Streben eine Festlegung auf ein Handlungsziel; nur ein Wesen, das bereits strebt, dessen Ziel also festliegt, ist überhaupt in der Lage zu handeln.

Wie sich Streben und Vernunft hierbei verhalten, das wird näher erklärt in Aristoteles’ Schriften „Über die Seele“ (De anima) und „Die Bewegung der Tiere“ (De motu animalium). Beide beschreiben den Bewegungsvorgang anhand dreier Momente, nämlich 1. des unbewegten erstrebten Objekts, 2. des Strebevermögens, das zugleich bewegt und bewegt wird, und 3. der dadurch eintretenden |18|Bewegung des Lebewesens (DA III 10, 433b 13–19; De motu animalium [MA] 6, 700b35–01a1). In enger Verbindung mit dieser Dreiteilung wird die Frage diskutiert, welche Seelenvermögen am zweiten Punkt wirksam sind, d.h. wodurch ein erkanntes Objekt das Lebewesen bewegt. Dies kann aber Aristoteles zufolge weder irgendein Erkenntnisvermögen aus sich heraus, noch auch das Strebevermögen selbst. Eine direkte Wirkung der praktischen Vernunft werde nämlich durch ein willensschwaches Handeln ausgeschlossen, bei dem jemand seiner Vernunft zuwiderhandelt; eine ausschließliche Wirkung eines Strebevermögens sei hingegen deswegen unmöglich, weil ein willensstarker Handelnder zwar ein Streben in Form einer Begierde habe, ihr aber nicht folge (DA III 9, 432b26–33a8). Auf dieser Grundlage zieht Aristoteles den Schluss, dass praktische Vernunft und Strebevermögen bei der Bewegung des Lebewesens eine Einheit bilden müssen, indem sich beide auf das erstrebte Objekt beziehen und so das Lebewesen auf dieses hin in Bewegung setzen (DA III 10, 433a13–21; MA 6, 700b,17–25).

Die für die Bewegung notwendige Beschränkung der rational gegebenen Möglichkeiten auf genau ein Objekt muss demnach dadurch erfolgen, dass dieses zum Objekt des Strebens wird. Eine solche Festlegung erfolgt wiederum, wenn ein Gegenstand als „angenehm“ (hēdy) empfunden wird; er wird dann nicht nur theoretisch erkannt, sondern auch unmittelbar erstrebt, ebenso wie das als „unangenehm“ (lypēron) empfundene automatisch gemieden wird. Beide Prädikate implizieren nämlich, anders als „wahr“ und „falsch“, dass das von ihnen prädizierte Objekt des Strebens wird (DA III 7, 431b8–10; vgl. De sensu et sensato 1, 436b15–17). In der Schrift „Die Bewegung der Tiere“ (De motu animalium) wird dies dadurch näher erklärt, dass die Erkenntnis als angenehm oder unangenehm automatisch eine körperliche Wärme oder Kälte verursacht, mit der z.B. Emotionen wie Mut, Furcht und sexuelles Begehren verbunden seien (8, 701b33–702a5). Von daher entwickelt Aristoteles die Idee einer ununterbrochenen Kette von Wirkungen, die mit der Erkenntnis anhebt und mit einer körperlichen Bewegung endet: „Denn die organischen Teile bereiten die Emotionen vor, das Streben aber die Emotionen, und das Streben wiederum die Vorstellungskraft. Diese entsteht aber entweder durch Denken oder durch sinnliches Wahrnehmen.“ (MA 702a17–19)

Diese hier nur sehr knapp skizzierten Grundlagen von Aristoteles’ Bewegungstheorie zeigen, dass für ihn eine handlungsleitende Funktion von Vernunft überhaupt nur in einem Zusammenspiel mit einer Form des Strebens deutlich wird. Ich möchte dabei zwei Punkte besonders festhalten: 1. Eine rationale Erkenntnis muss auf jedem Fall einem rationalen Streben vorhergehen. 2. Diese Erkenntnis selbst kann den Gegenstand des Strebens aber nicht hinreichend spezifizieren, um selbst handlungsleitend zu wirken. Dafür ist vielmehr nötig, einen rational erkannten Gesichtspunkt in ein Streben zu übersetzen.

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