Читать книгу Philosophien der Praxis - Группа авторов - Страница 15

|22|3.4. Eine vorläufige Würdigung

Оглавление

Für Aristoteles besteht Praxis also darin, dass der tugendhafte Mensch habituell auf die Mitten hin ausgerichtet ist, auf die sich die einzelnen Tugenden beziehen. Durch die Tugenden wird das Streben auf sie hin festgelegt und damit für die Klugheit bzw. praktische Vernunft die Möglichkeit eröffnet, diejenigen Handlungen zu ermitteln, die diesen Zielen in Einzelsituationen entsprechen, also zu ermitteln, was jeweils eine tapfere, gerechte oder ähnliche Handlung ist. Diese Festlegung setzt zwar eine rationale Erfassung der Ziele voraus, die auch beim tugendhaften Menschen in Form einer Meinung präsent ist, wofür es aber nicht notwendig ist, dass diese Meinung auf eigener Reflexion beruht oder aus Prinzipien abgeleitet ist; sie kann auch gelernt und weitergegeben werden, ohne ihre praktische Relevanz zu verlieren. Für die konkrete Praxis ist aber diejenige Vernunftform von entscheidender Bedeutung, die aufgrund ihrer Verbindung mit einem Streben, in dem sich das spezifische Suchen einer Einzelperson nach Eudaimonie abbildet, im konkreten Fall richtige Handlungen hervorbringt. Wenn ein solches Streben also von der Klugheit in jeder Situation aufs Neue konkretisiert wird, indem sie Wege zu erreichbaren Zielen angibt, dann entfaltet sich der Mensch in seinen Handlungen. Eine allgemeine Reflexion über richtiges Handeln kann hingegen in dieser Hinsicht nur wirksam werden, wenn der Einzelne diese Art von Erkenntnis vor dem Horizont seiner konkreten Ziele anstellt.

Der gerade erhobene Befund zur aristotelischen Ethik macht diese in einer Hinsicht sehr attraktiv, lässt sie in einer anderen aber unvollendet erscheinen: Attraktiv scheint der Ansatz insbesondere insofern, als hier die Voraussetzungen für einen individuell-praktischen guten Lebensvollzug zentral werden, inklusive der Forderung, dass ein solcher Lebensvollzug insbesondere in der Perspektive der Person selbst gut ist. Unbefriedigend kann hingegen wirken, dass eine Reflexion des individuellen Handelns vor dem Horizont allgemeiner Annahmen und Probleme hier nicht eigentlich zum Thema der Ethik wird, sondern es im Grunde genommen ausreicht, dass der tugendhafte Mensch aus einer nicht notwendig argumentativ abgesicherten, sondern eher emotional stabilisierten Meinung heraus handelt. Auch wenn Aristoteles annimmt, dass bestimmte Typen von Handlungen unter allen Umständen verboten sind (NE II 6, 1107a8–27), verweist er im Hinblick auf konkrete Situationen auf den kompetenten, d.h. tugendhaften, Einzelnen als Maßstab für gute oder weniger gute Entscheidungen (NE III 6, 1113a31–33), was in Anbetracht des Anspruchs auf eine selbstbestimmte Lebensführung sowie einer Vielzahl von Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen darüber, wohin sich richtige Praxis ausrichten muss, unbefriedigend wirkt.

Philosophien der Praxis

Подняться наверх