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2 Bedeutungsvolle Gegenstände

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In dem eben zitierten Mythenresumée verwandelten sich Steißhühner in Schalen, voller Erde, die auf eine Matte aus Palmfasern ausgeschüttet wurden. Die Gegenstände scheinen dabei, wie aus anderen Versionen erhellt, selbst aktiv teilgenommen zu haben. Neben den Mythen, in denen von Gegenständen die Rede ist, sind Gegenstände selbst eine andere wichtige Quelle der Überlieferung, doch für uns sind das meist nur stumme Objekte. Und so wie Künstler oder Künstlerinnen ihre Werke oft nicht mit Worten erklären mögen, so lässt sich die Bedeutung von Objekten nicht immer in verwendbare Sätze fassen.

Die spirituelle Bedeutung von Gebrauchsgegenständen erhellt unter anderem aus mehreren mythischen oder episodischen Aussagen von Tacana. Diese besagen einerseits, dass vor einer großen Sintflut Waffen und andere Gebrauchsgegenstände sich erhoben und die Menschen auffraßen. Andererseits erzählen sie von Revolten der Gegenstände so, dass sie wohl auch in der Jetztzeit geschehen sein können. In einer solchen Erzählung

… unterhielten sich zwei Körbe. Der eine sagte: »Die Menschen bewahren in uns ihre Sachen auf. Wir müssen diese hüten.« Der andere Korb meinte: »Die Menschen gehen aber schlecht mit uns um. […] Die Tiere treten auf uns herum, die Schweine und die Hunde. Dann werfen sie uns in das Feuer und verbrennen uns.«

Der unzufriedene Korb überzeugt die anderen, und alle Körbe entleeren auf den Boden des Hauses, was die Menschen in ihnen aufbewahrten, und verstecken sich im Wald. Von dort hören sie, wie die Hausfrau ob der entstandenen Unordnung verzweifelt. Die Körbe in ihrem Versteck freuen sich: »›Sie weiß nicht, wohin sie ihre ganzen Sachen tun soll.‹ Dann lachten sie«. Doch als die Frau mutmaßt, ein Dieb habe die Körbe gestohlen, kehren diese zurück und erklären, dass ihnen die schlechte Behandlung nicht gefällt. Die Erzählung, meint Karin Hissink, die sie aufgezeichnet hat, steht vielleicht in Zusammenhang mit einer Gefäßmalerei aus der alt-peruanischen Moche-Kultur (100 v. – 800 n. Chr.) , die als Aufstand der Gegenstände gedeutet wurde.41 Es könnte sich also um ein sehr altes, über die Grenzen des Amazonasgebietes hinaus verbreitetes Mythenmotiv handeln.

In solchen Erzählungen haben Gegenstände ein Eigenleben. Sie sprechen und denken, ob dies nun nur in der Frühzeit so war oder bis heute für den, der sie zu hören versteht. Früher zumindest »waren die Tongefäße und andere Gegenstände wie Menschen. Sie sprachen und besuchten sich gegenseitig, tanzten und bereiteten Maisbier.«42 Das erinnert etwas an das »Als die Tiere noch sprechen konnten« unserer Märchen. Dass Tiere sprechen können, wird zwar niemanden, der mit Tieren umgeht, völlig überraschen, wenn wir nur »sprechen« weit fassen. Aber nun sind es hier eben nicht bloß Tiere, die sprechen, sondern auch solche Wesen, die wir als »tote« Gegenstände ansehen. Wir kennen das als häufiges literarisches Motiv (Goethes Zauberlehrling), doch sind es in den Erzählungen aus dem Amazonasgebiet keine nur unglücklicherweise zum Leben erweckten Objekte, die eigentlich stillhalten sollten, sondern uns treten selbstbewusste Dinge entgegen, die (in der Mythologie der Tacana) in einer mythischen Vergangenheit gefräßige Bestien waren, in Erzählungen aus der Nach-Sintflutzeit aber verständig und hilfsbereit sind. Nicht nur Tiere, Pflanzen, meteoreologische Phänomene und Anderwelt-Geister sehen sich selbst als menschlich (uns hingegen nicht oder nicht unbedingt), sondern auch die Objekte. Dem liegt heute ein historischer Bruch zwischen der einstigen friedlichen Einheit all dieser Wesen zugrunde, und nurmehr Schamanen können den gemeinsamen Ursprung und die gleiche Essenz erkennen.43

Wir können die Objekte oft erst dann sprechen hören, wenn indigene Zeichner für uns mythische Inhalte darstellen. Die Zeichnungen des Künstlers Feliciano Lana zeigen die Schöpfungsgeschichte seines Volkes, der Desana. In ihr spielen Gegenstände eine bewegende und bewegte Rolle: »Die Dinge, fest umrissene Körper, Gegenstände, mit ihrer physikalischen Struktur und ihrer Permanenz« bilden »ein Gegengewicht zur diffusen, weniger eindeutigen und festgelegten Welt der auf der Grundlage des gesprochenen Wortes beruhenden indianischen Überlieferung«.

So erscheint der Großvater der Welt nur kurz als menschliches Wesen; über die Zwischenform der Zigarre in Zigarrenhalter und Ipadu[Koka]-Schale auf einem Topfhalter schlüpft er in den Körper des Bootes, das von da an Boot der Verwandlung heißt […]. Auch das Caapi [Ayahuasca, ein Visionen förderndes Mittel]-Kind entledigt sich schon kurz nach seiner Geburt seines kindlichen Körpers […], verwandelt sich von einem farbigen Muster in die Heiligen Flöten und deren Klang.44

Frauen dürfen die heiligen Flöten, die in einigen Kulturen der Region im Mittelpunkt des Kultus der Männer stehen, gewöhnlich nicht sehen. Doch hören können sie sie sehr wohl, und bei den Nadöb am Rio Uneiuxi beurteilten sie das Flötenspiel, das vom Waldrand erklang, nach seiner Qualität. Bewunderung und Spott lagen da nah beieinander und waren nicht von allgemeinen Ansichten über die jeweiligen Flötenspieler zu trennen. Von heiligem Schauder habe ich nichts bemerkt, wohl aber von souverän-kritischer Musikkenntnis und auch Musikbegeisterung.45

Indigene Religionen Südamerikas

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