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3.4 Alles durchdringende Prinzipien und Kräfte, teils freundlich, teils feindlich
ОглавлениеEine Emanation des Schöpferwesens oder – prinzips Puru der Piaroa ist Achacatu, dieses steht jedoch gleichzeitig im Konflikt mit der unsichtbaren Schöpferkraft, hat die Menschen zur Revolte verführt und gibt ihnen bis heute manchmal Feuer ein, an dem sie erkranken. Dieses Feuer wird mit Wasser bekämpft, so wie die Schöpferkraft einstmals eine Sintflut sandte, um die Menschen zu vernichten, die sich Achacatu angeschlossen hatten.62 Doch ist die Sache nicht so einfach, dass hier Feuer und Wasser einander schlicht gegenüberstünden. Die scheinbar böse Emanation hat selbst das Feuer von einer scheinbar guten Emanation gestohlen. Eher sieht es so aus, dass die beiden Prinzipien ineinander verschränkt sind. Den menschlichen Körpern flößt bei den Pemón das himmlische Licht Leben ein und verbindet sie mit dem Himmel. Der Schamane der Pemón kämpft gegen gegenteilige Kräfte der Natur, die unter dem Begriff mawari zusammengefasst werden. Sie können Seelen rauben und bilden die dunkle Seite.63
Uns mag der Gedanke an den christlichen Satan kommen, der die Menschen zur Revolte gegen Gott verführt. Die Frage nach dem Gewicht christlicher Einflüsse kann ich in diesem Übersichtsartikel nicht beantworten. Doch jedenfalls sind viele der Gedanken, die wir über höchste Wesen und deren Widersacher hören, überhaupt nicht christlich; auch wenn sie christliche Motive enthalten, sind sie in einen anderen Zusammenhang gestellt. In diesem Sammelband berichtet María Vutova von máwari bei den Nord-Arawak in Venezuela, dass sie zwar gefährlich, ja auch böse sein können, andererseits aber auch manchmal Trost und Freude spenden. Der oder die máwari (es gibt sie männlich und weiblich) ist ein Meister des Trugs und der Verführung, manchmal aber auch ein guter Freund, ja willkommene Liebhaberin. Man muss sich vor ihm (oder ihr) vorsehen, aber der Gedanke an diese Wesen erzeugt keineswegs immer Schauder, sondern manchmal auch Trost und Freude. Das wäre ein völlig unchristlicher Gedanke, würde es sich um den Satan handeln. Eine dieser (gleichsam, aber nicht unschuldigen) Wasserjungfrauen ist die Tochter des hl. Petrus.
Otto Zerries, der Altmeister der deutschen ethnologischen Forschung im östlichen Südamerika, schrieb schon 1954 nach Sichtung einer schon damals gewaltigen Masse von Berichten, dass es sich bei den unheimlichen Geistern in Wald und Busch »um rein geistige Kräfte handelt«, die aber nicht mit dem »Begriff des Bösen, dem stets der christlich-moralisierende Beigeschmack anhaftet, [… sondern] durch den Begriff des Unheimlichen, Gefahrdrohenden« übersetzt werden könnten. In diesem sah er eine Gegenkraft gegen das Gute, für den Menschen »das Vorhandensein eines seiner menschlichen Existenz schlechthin feindlichen Prinzips hinter der Erscheinungen Flucht«.64 Doch ist es offenbar vielfach doch möglich, mit diesem Feindbild gut zu leben. Die Heirat mit ihm reißt den Menschen aus unserer Welt heraus, macht ihn aber keineswegs immer unglücklich, im Gegenteil.
Die Katxuyana erwähnten Purá, doch nur gleichsam nebenbei, und ein Missionar, der bei ihnen predigte und später Ethnologe wurde, konnte sich dann des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass er selbst einen personalisierten Gott in sie hineingefragt hatte. Doch ist das Unsichtbare jedenfalls nicht nur ein solcher Gott, sondern bedeutet weniger christlich (teils abstrakter, teils konkreter) »Welt, Kräfte, Urmensch […] und Kulturheros« (halbgöttlicher Begründer der Kultur). Es gibt einen »Glauben an überall wirksame Kräfte«. Daneben fand der damalige Missionar den Glauben an Uhhtarére, eine Macht, die durch die Schamanen hindurch wirkt und bei ihnen die materielle Gestalt des Tabakrauchs oder des Halluzinogens Paricá65 annimmt. Das »Symbol des Guten und der guten Kräfte der Welt«, das von jener Macht kommt, wird durch »ein materielles Transportmittel«, das Fest des Rauschmittels, spürbar. Uhhtarére spricht nicht mit menschlicher Stimme, sondern durch die Sprache der Flötenklänge (wie etwa auch der im Aufsatz von Vutova in diesem Band ausführlich besprochene Yuruparí/Kuwai oder der Yakúi der Flöten der Kamaiurá). Dem Prinzip des Guten entgegen stehen »die schlimmen Einflüsse, die von den Kräften der Geister ausgestrahlt werden, vor allem den Tiergeistern namens worókiemá«, die freilich in dem hier zitierten Bericht nicht als einheitliche geistige Macht beschrieben werden, sondern als viele Einzelgeister gegenüber dem einen Guten.66 Die Ye’kwana erfahren den einen Himmelsherren, den guten Wanadi, als nicht mehr aktiv; hingegen »die der Lebensenergie entgegengesetzten, zerstörerischen Kräfte« als sehr aktiv, »es wimmelt von ihnen in der Welt, seit Wanadi fort ist«.67 Dieser Satz wurde zwar schon 1962 publiziert, aber könnte es nicht sein, dass schon damals die relativ zunehmende Verschmutzung, ja Zerstörung der Welt der Ye’kwana zu dem Pessimismus beigetragen hat? Die Rede von einem verlorenen Paradies dürfte menschheitsalt sein, könnte aber im 20. Jahrhundert lauter geworden sein.
Im kolumbianischen Amazonasgebiet verwenden Indigene mit Kenntnis anthropologischer Begriffe ebenso wie Anthropologen gerne die Übersetzung pensamiento (spanisch wörtlich »Denken«) für bestimmte vielschichtige Begriffe. Das Makuna-Wort üsi bedeutet »Luft, Atmung oder Leben und enthält die Idee einer Lebensessenz, die sich im Herzen findet und allen lebendigen Menschen und Wesen gemeinsam ist«. Es kondensiert sich im Schamanen und ist dann individuell, aber sein Ursprung liegt in einer »mächtigen Kraft, die durch den Kosmos fließt« und dabei bestimmten Bahnen folgt, die alle heiligen Orte (meist auffällige Landschaftsformationen) verbindet«.68 Das Wort pechuji der Yukuna-Matapí ist von ripechu (»Idee/Emotion«) abgeleitet und mit dem Zusatz – ji (»absolut«) zu etwas Allgemeinem ausgeweitet. Es erscheint dann als ein von großen Figuren der Vorzeit stammendes »Wissen«,
welches die kollektive Einheit jeder Gruppe (Territorium, Schutzgeister, Güter) bestimmt und eint, und das von jedem Individuum schon vor dessen Geburt und während seiner ganzen Entwicklung Besitz ergreift, um es auf diese Weise zu einem Mitglied der Gruppe zu machen. Diese Sicht beschränkt sich nicht auf menschliche Gruppen, sie wird auch auf Tiere und andere Wesen als in Bezug auf Organisation und Beschaffenheit den Menschen analoge Gruppen ausgeweitet.
Diese Lebenskraft oder Intelligenz findet sich auch in Pflanzen. Doch ist das offenbar nicht genau jenes »Wissen« als Summe, die das höchste Wesen ausmacht, und von dem wir weiter oben lasen. Eher ist es eine Macht des Wissens, die überall mehr oder weniger stark vorhanden ist, besonders stark in Schamanen, und die sich jeweils in einem Menschen individualisiert. In den einzelnen Personen ist diese Grundlage von »Wissen, Macht und Intelligenz« in unterschiedlichem Maße vorhanden, als eine erbliche Veranlagung, die bestimmt, ob jemand intelligent oder dumm ist.69
Bei den Canela ist die Rede von einem »Lebensprinzip« namens karõ, das einerseits als »Totengeist« übersetzt wird, andererseits aber auch in Menschen, Tieren, Pflanzen und (für uns) unbelebten Objekten zu finden sei und eine Kommunikation zwischen diesen verschiedenen Wesen möglich machen könne. Hingegen sieht ein anderer Forscher (der generell weniger zur Versenkung in indigene Mystik neigt) in karõ, zwar einen einfachen Totengeist, nicht aber ein darüber hinaus gehendes Prinzip.70 Hier zeigen sich wohl nicht nur unterschiedliche Herangehensweise von Forschern, sondern auch verschiedene Perspektiven derjenigen Indigenen, mit denen die Forscher reden. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, und jeder Forscher sucht sich die ihm entsprechenden Indigenen, jeder Indigene die ihm entsprechenden Forscher.