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Superhelden-Comics27
ОглавлениеAufgrund der Vielfalt und Wandelbarkeit von Superhelden-Comics ist es nur schwer möglich, das gesamte Genre mit einer einheitlichen Definition zu bestimmen. Selbst der zentrale Begriff des Superhelden bzw. der Superheldin lässt sich nicht klar definieren. Zentrale Merkmale wie Superkräfte, ein bestimmtes Kostüm oder Werte und Ideale28 gelten zwar als weit verbreitet, jedoch lassen sich schnell Gegenbeispiele finden. So gibt es Helden und Heldinnen ohne besondere Fähigkeiten oder dramatische Geschichten, in denen diese gezwungen sind, Probleme zu lösen, ohne ihre Kräfte oder technische Hilfsmittel einzusetzen. Nicht selten verschwimmen außerdem in modernen Geschichten die Grenzen zwischen moralisch guten und fragwürdigen Figuren.29 In der Comicforschung gibt es den Ansatz, das Genre aus historischer Perspektive zu untersuchen, um Kontinuitäten und Wandel der Superheldengeschichten herauszuarbeiten. Interessant für den Philosophieunterricht werden diese Geschichten ab dem sogenannten Silver Age, in dem Konflikte der Superheldenidentität mit der privaten Identität der Heldinnen und Helden zunehmend thematisiert werden, u.a. bei den Fantastic Four oder Spider-Man. Dies lag auch daran, dass in den USA die Comics durch die Comic Code Authority reglementiert wurden.30 Da kein rotes Blut gezeigt werden sollte, wurden manche Konflikte nun mit Außerirdischen oder Maschinen ausgetragen, was für einige philosophisch interessante Geschichten sorgte.31 In dem darauffolgenden Bronze oder Dark Age werden Superhelden einer Ideologiekritik unterzogen. In den Klassikern Watchmen oder The Return of the Dark Knight weisen die Protagonisten neurotische, desillusionierte oder brutale Wesenszüge auf.32
Aufgrund ihres Inhalts können Superhelden-Comics meist in einem moralphilosophischen Kontext im Unterricht eingesetzt werden.
1. So empfiehlt sich beispielsweise ein begriffsanalytisches Vorgehen.33 Oft reicht schon das Vorwissen der Lerngruppe über bekannte Figuren und Antagonisten aus, um sich den Begriffen »gut« und »böse« anzunähern. Möglich ist aber auch die Arbeit mit den Begriffen »Mut«, »Tapferkeit«, »Gerechtigkeit« oder »Frieden« (letzteres ist zum Beispiel durch Paul Dinis und Alex Ross› Superman – Friede auf Erden möglich). Mit einigen Geschichten aus dem Bronze Age können vor allem Grenzfälle betrachtet werden, da viele Superheldinnen und -helden nicht mehr als eindimensional moralisch gut dargestellt werden. Ein mögliches Beispiel hierfür ist Sean Murphys Batman – der Weiße Ritter. In der Graphic Novel gilt der Joker als geheilt und wird zum titelgebenden Helden, der mit Polizeigewalt gegen den Vigilanten Batman kämpft.
2. Der Inhalt der Superheldengeschichten kann dazu dienen, ethische Diskussionen anzuregen oder moralphilosophische Theorien zu veranschaulichen. Einige Geschichten enthalten scheinbare Dilemmata34, die im Philosophie- und Ethikunterricht als Ausgangspunkt für Diskussionen dienen können. Beispielsweise droht dem Joker in Chuck Dixons und Graham Nolans Joker – Des Teufels Advokat die Todesstrafe für Morde, die der Clownprinz des Verbrechens zwar gestanden, aber nicht begangen hat. Zudem kann das Handeln zentraler Figuren einer moralphilosophischen Fallanalyse unterzogen werden. Hier bietet sich ein zentraler Moment am Ende von Alan Moores und Dave Gibbons› Watchmen an. Der Antagonist der Bildgeschichte offenbart, dass er ein gewaltiges Monster gezüchtet hat, um es auf die Menschheit loszulassen. Seine Absicht dahinter ist es, die Staaten, welche sich kurz vor einem nuklearen Dritten Weltkrieg befinden, zur friedlichen Zusammenarbeit zu zwingen. Das Szenario (so kontrafaktisch es zunächst scheinen mag) lässt sich ohne Umwege auf die deontologische und konsequentialistische Ethik anwenden. Der Antagonist fragt Dr. Manhattan, welcher die Fähigkeit besitzt, in die Vergangenheit und Zukunft zu sehen, ob er das Richtige getan und am Ende alles funktioniert habe. Es kann sich lohnen, diese Frage an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Dr. Manhattan selbst erwidert, dass nichts je wirklich enden würde. Aus der Graphic Novel kann so ein Argument gegen den ethischen Konsequentialismus entnommen werden. Auf diese Weise kann der Comic nicht nur das Verständnis einer moralphilosophischen Theorie erleichtern, sondern auch dazu beitragen, deren Gültigkeit kritisch zu hinterfragen.
3. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Superhelden-Comics fast ausnahmslos als kontrafaktisch bezeichnet werden können. Bestimmte Geschichten eignen sich daher, um abstrakte Konzepte zu thematisieren und zu konkretisieren – wie Körper, Seele oder Identität.35 Manche Superhelden-Fähigkeiten haben dabei sogar einen stärkeren Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler, z.B. die Fähigkeit der jugendlichen Heldin Ms. Marvel, ihren eigenen Körper beliebig zu verändern. Simon Mayer verweist auf den Vorteil bestimmter Comics, dass die Durchführung des Gedankenexperiments unmittelbar visuell gezeigt und von der Protagonistin auch reflektiert wird.36 Gedankenexperimente der Populärkultur können den Lernenden aufzeigen, so argumentiert Jeff McLaughlin, welche Relevanz und Verbreitung philosophische Ideen haben können, die seit Jahrhunderten diskutiert werden.37
4. Eine gewinnbringende – aber zeitaufwendigere – Möglichkeit, Superhelden-Comics im Philosophie- und Ethikunterricht zu analysieren, wäre es, ausgewählte Comic-Darstellungen mit einer filmischen Inszenierung zu vergleichen. Mit diesem medialen Vergleich ließe sich vor allem die Fähigkeit der Lernenden schulen, Comics und Filme sorgfältiger zu analysieren und sich der Besonderheiten der einzelnen Medien bewusst zu werden.38 Eine philosophische Erschließung der verschiedenen Materialien würde so mit der in allen Fächern geforderten Medienkompetenz verbunden werden. Als Beispiel können hier Superhelden-Verfilmungen dienen. So verweist Rico Handorf auf die moral- bzw. staatsphilosophische Relevanz von Frank Millers Die Rückkehr des Dunklen Ritters und Christopher Nolans The Dark Knight.39
Möchte man den Einsatz von Superhelden-Comics im Philosophie- und Ethikunterricht hinterfragen, so ist es hilfreich, diese gegen andere Medien bzw. Materialien abzuwägen. Gerade bei moralphilosophischen Themen könnte eine Anwendung ethischer Theorien auf Alltagsbeispiele (wie dies z. B. in der SZ-Rubrik Gewissensfragen von Rainer Erlinger geschah40) eine lohnenswerte Alternative darstellen. Diese Beispiele haben einen starken Lebensweltbezug für die Lernenden und weisen dafür nicht die multimodale komplexe Darstellungsform von Comics auf. Manche Bereiche der Philosophie und Ethik beziehen sich jedoch auf Bereiche jenseits des jugendlichen Alltags, z. B. wenn es um eine Technik-Folge-Abschätzung zukünftiger Technologien geht. Für solche Bereiche könnten Comics als anschauliche und unterhaltsame Beispiele herangezogen werden.
Weiterhin ist zu bedenken, dass die Thematisierung von Superheldinnen und -helden als tugendhafte Vorbilder aus verschiedenen Gründen fraglich scheint. Neben der bereits erwähnten kontrafaktischen Grundannahme und der moralischen Ambiguität kann eingewendet werden, dass viele Heldinnen und Helden supererogativ handeln, also sich aufopfernd für das Gute über die Grenzen moralischer Pflichten hinaus einsetzen. Daher sollte gefragt werden, ob solche »Übermenschen« überhaupt als Vorbilder für Menschen geeignet sind.41 Bei der Verwendung von Superhelden-Comics sollte stets bedacht werden, dass diese ursprünglich ideologische Figuren darstellten, die immer noch für politische, propagandistische oder ähnliche Ziele instrumentalisiert werden können.42 Im Unterricht kann eine solche Manipulationsgefahr direkt thematisiert werden, zumal diese Ideologiekritik in einigen wenigen Comics selbst stattfindet, z. B. bei Miss Marvel43 oder Batman44. Weitere mögliche Nachteile von Superheldengeschichten, mit denen sich Lehrkräfte auseinandersetzen sollten, lassen sich in folgenden Fragen festhalten: Inwiefern sind die düsteren Darstellungsformen und Inhalte wie Gewaltdarstellungen für jugendliche Leserinnen und Leser geeignet? Welches Vorwissen wird für das Verständnis der Geschichte oder des Ausschnittes benötigt (zeichnen sich doch viele Geschichten von großen Verlagen wie DC oder Marvel durch eine erhebliche Komplexität aus, die sich nicht selten über verschiedene Multiversen erstreckt)?
Auswahl an Superhelden-Comics:
Moore/Gibbons: Watchmen. Panini 2008. (Diverse Bezüge, u.a. zum Utilitarismus)
Miller: Die Rückkehr des Dunklen Ritters. Panini 2017. (Diverse Bezüge, u.a. Selbstjustiz)
Dixon/Nolan: Der Advokat des Teufels. Panini 2010. (Konflikt zur Todesstrafe)
Rucka/Jones: Batman / Wonder Woman – Hiketeia. Panini 2017. (Moralischer Relativismus)
Gaiman/Kubert: Was wurde aus dem Dunklen Ritter? Panini 2020. (Guter Tod)
Dini/Ross: Superman – Friede auf Erden. Carlsen 1999. (Frieden und Sicherheit)
King/Gerads: Mister Miracle – Darkseid ist. Panini 2019. (Dilemma, Wirklichkeit)
Remender/Opeña/Larraz: Ultrons Zorn. Panini 2015 (Vergleich Mensch und Maschine)
Duggan/Larraz: Ultrons Rückkehr. Panini 2017 (Vergleich Mensch und Maschine)
Bendis/Coipel: House of M. Panini 2007. (Parallelen zu Nozicks Erlebnismaschine)
Slott/Ramos/Gage/Camuncoli: Spider-Man – Kein Ausweg. Panini 2015. (Todesstrafe)
Cage/Foreman: Spiderman – Civil War II. Panini 2017. (Willensfreiheit und Determinismus)
Aaron/Ribic: Thor: Götterschlächter. Panini 2013. (Identität und Gotteskritik)
Ellis/Granav: Iron Man – Extremis. Panini 2013. (Folge-Abschätzung von Waffentechnik)