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EINFÜHRUNG Der lange Weg von Comics und Graphic Novels in den Philosophie- und Ethikunterricht
ОглавлениеMartina Peters und Jörg Peters
Am 14. Januar 2021 meldeten amerikanische Medien, dass eine der noch wenigen existierenden Comic-Heftausgaben von Batman #1 aus dem Jahre 1940 in einer nahezu druckfrischen Qualität (Near Mint) im Auktionshaus Heritage zum Rekordpreis von $2.200.000 USD ersteigert worden war.1 Nur sechs Wochen später, am 7. April 2021, verkündete die amerikanische Tageszeitung USA Today: »A rare, high-grade copy of Action Comics #1, the issue featuring Superman’s first appearance, sold for a record $3.25 million in a private sale«.2 Der Wert des sowieso schon teuersten Comic-Heftes der Welt war somit noch einmal um $50.000 USD gestiegen. Man kann mit großer Gewissheit davon ausgehen, dass ein Ende der Spekulationen mit Comics noch lange nicht gekommen ist – immer mehr Investoren entdecken den Comic-Markt für sich als Spielfeld.
Das ökonomische Interesse an Comics ist derzeit folglich sehr groß. Schaut man sich im Internet auf den Angebotsseiten für Comics in Auktionshäusern um, so stellt man schnell fest, dass nahezu täglich selbst für unspektakuläre Heftnummern aus allen Zeitaltern3 und allen Genres4 neue Höchstpreise gezahlt werden. Selbst Comics, die mit dreißig Jahren noch recht »jung« sind, werden mittlerweile zum Teil zu Preisen verkauft, die selbst von Sammlern rational nicht mehr nachvollzogen werden können. So betitelt Chuck Rozanski, der Eigentümer des größten Comic-Geschäfts der Welt, seinen Newsletter vom 17.04.2021 mit den Worten: »Back Issue Comics Boom Explodes«. Rozanski betont mit seiner plakativen Überschrift, dass die derzeitige extrem hohe Nachfrage (Boom) nach alten, vergriffenen Comics (Back Issue Comics) aus den Fugen geraten ist, und verweist darauf, dass keiner sagen kann, wo der durch die »Explosion« entstandene Weg hinführen wird. Rozanski meint, den derzeitigen Ansturm auf Comics unter anderem folgendermaßen erklären zu können: »As crazy as it may seem to those of us who lived through the mass overprintings of the late 1980’s and early 1990’s, many titles from that era are now in high demand, especially by the legion of young collectors who are suddenly buying up everything in sight. For most of them (many of whom were born after 2000…), comics from 1993 are OLD!«5
Aber woher kommt das große und immer größer werdende Interesse an Comics – und zwar nicht nur als Spekulationsobjekt –, das sich seit einigen Jahren beobachten lässt? Noch vor 25 bis 30 Jahren zeichnete sich nämlich ein ganz anderes Bild: Aufgrund dramatisch sinkender Verkaufszahlen über Monate hinweg bei gleichzeitiger Beibehaltung viel zu hoher Druckauflagen wären beinahe sämtliche Comic-Verlage aufgrund erheblicher finanzieller Verluste gänzlich von der medialen Bildfläche verschwunden gewesen. Die Comic-Industrie bediente zu dieser Zeit einen Markt mit schnell produzierter Massenware zum Teil in Millionenauflagen, bis sich die Käuferinnen und Käufer von heute auf morgen von den Bildergeschichten abwandten. Die Verkaufszahlen ließen so rapide nach, weil die Leserinnen und Leser merkten, dass viele Geschichten 1. inzwischen einfach nur noch trivial und zudem nur wenig amüsant waren, 2. künstlerisch nicht überzeugen konnten, 3. kaum Identifikationsmöglichkeiten (für Jugendliche) schufen und 4. praktisch keine kontroversen, politischen, sozialkritischen oder gar philosophischen Themen anboten.
Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends änderte sich die Lage: Comics waren auf einmal wieder begehrt. Ja, Comics haben in den letzten fünfzehn Jahren zu einem wahren Höhenflug angesetzt, dessen Ende zumindest derzeit nicht absehbar ist. Die Gründe für den enormen Erfolg sind leicht auszumachen:
1.In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konnte weltweit mit dem Export der japanischen Manga in die westliche Welt insbesondere die weibliche Käuferschaft für Bildergeschichten gewonnen werden, während bis zu diesem Zeitpunkt Comics (vor allem amerikanische) primär von einer männlichen Kundschaft konsumiert wurden.
2.Graphic Novels, denen man oft sowohl literarisch als auch künstlerisch eine hohe Qualität attestierte, wurden immer populärer. Hinzu kam, dass in ihnen Themen aufgegriffen wurden, die sich deutlich vom Superhero-Mainstream der großen Comic-Verlage unterschieden. Man denke hierbei beispielsweise nur an Art Spiegelmans Maus oder Marjane Satrapis Persopolis. Auf diese Weise konnte einerseits ein neues Käuferklientel generiert und andererseits den Comics endlich jene explizite Anerkennung als Kunstform zuteilwerden, die sie eigentlich schon lange verdient hatten.6
3.Auch der bis heute andauernde Erfolg von DC- und Marvel-Comic-Verfilmungen hat fraglos dazu beigetragen, dass Comics wieder gelesen und gesammelt werden: Bislang gibt es 34 DC- und 23 Marvel-Comic-Verfilmungen (Stand Dezember 2020). Mit Avengers – Endgame stellt eine Comic-Verfilmung, die ein weltweites Einspielergebnis von $ 2.798.000.000 USD vorweisen kann, den derzeit erfolgreichsten Film aller Zeiten (Stand Dezember 2020). Hinzu kommt, dass sich unter den Top 100 der Filme mit den höchsten Einspielergebnissen 23 weitere Comic-Verfilmungen befinden und sie somit nahezu ein Viertel der umsatzstärksten Filme ausmachen.7 Es wäre geradezu unverständlich, wenn ein solcher Triumph keine spürbaren Auswirkungen auf das Kaufverhalten von Comicheften selbst gehabt hätte.
4.Schließlich hat auch die nicht nur in den USA beliebte Sitcom Big Bang Theory, in der die nerdigen Protagonisten seit frühester Jugend den DC-Superhelden verfallen sind (allen voran Batman, Superman, Green Lantern und Flash)8, einen erheblichen Anteil an dem derzeitigen Comic-Boom. Durch den häufigen Aufenthalt der Hauptfiguren in einem Comic-Shop sind zum einen zahlreiche Amerikanerinnen und Amerikaner animiert worden, selbst einen solchen aufzusuchen, zum anderen hat sich dadurch der Umgang mit Comics grundsätzlich geändert, denn das Lesen der Hefte wurde mit einem Mal nicht mehr belächelt, sondern als gesellschaftsfähig und intellektuell angesehen.