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1.2.3 Tugendethik

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Tugendethische Ansätze, die in ihren Ursprüngen auf Platon und vor allem dessen Schüler Aristoteles zurückgehen, haben nicht nur im Bereich der Medizinethik eine gewisse Renaissance erfahren. Im Kern beinhaltet die antike Tugendlehre die Idee, dass die bewusste Formung charakterlicher Anlagen in Hinblick auf bestimmte Herausforderungen für die Handlungsorientierung entscheidend sei. So gelten die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit als erstrebenswerte Auszeichnungen einer Person, die in alltäglichen wie außergewöhnlichen Situationen gleichermaßen handlungsleitend sein sollen. Es geht im aristotelischen Ansatz um die Fähigkeit, klug die Realität auf das mögliche Gute hin einschätzen zu können, sodass man gerecht gegenüber sich und anderen handelt. Die tugendhafte Haltung macht es demnach ohne weiteres Regel- oder Pflichtwerk möglich, die Mitte zwischen dem Übermäßigen wie dem Mangelhaften im Handeln jeweils neu zu finden.

Der Tugendkanon erfuhr später vielfache Erweiterungen, so durch die christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung; in der Aufklärungszeit zählte man vor allem noch die Toleranz zum Kanon der geforderten Haltungen hinzu, die nicht aus Pflicht, sondern aus Einsicht in ihren genuinen Sinn einzuüben waren.

Die neueren Konzepte der Tugendethik im Bereich der Medizin distanzieren sich vor allem von der alleinigen Orientierung an strikten Regel- und Pflichtenkatalogen, die der Komplexität und Variabilität der Handlungssituationen kaum mehr gerecht werden können und mit der Persönlichkeit des Handelnden ein wesentliches Element der Moralität unberücksichtigt lassen. Eine sittliche Grundhaltung, die zum guten Handeln disponiert, sei vielmehr geeignet, den situativ wechselnden Anforderungen im medizinischen Bereich zu entsprechen. Die amerikanischen Ethiker Edmund D. Pellegrino und David C. Thomasma (1993) entwickelten z. B. eine ärztliche Tugendlehre, nach der ein tugendhafter Arzt die Veranlagung besitzt, gewohnheitsmäßig zum Wohl des Patienten zu handeln. Allerdings fehlen einer Tugendethik verallgemeinerbare Kriterien, um in Konfliktfällen beurteilen zu können, welche Handlung moralisch konkret geboten ist. So räumen auch Pellegrino und Thomasma ein, dass ihr tugendethischer Ansatz der Ergänzung bedarf. Angesichts der eingeschränkten Regelbarkeit ethischer Herausforderungen in der modernen Medizin kommt aber der moralischen Einstellung und Grundhaltung der Akteure dennoch eine wesentliche Bedeutung zu.

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

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