Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 23
2.5 Intensivmedizin – Disziplin mit ständig neuen Herausforderungen
ОглавлениеDie Intensivmedizin wird sich möglicherweise bereits in der nahen Zukunft neuen Herausforderungen stellen müssen, die in der Vergangenheit, zumindest in Deutschland, keine wesentliche Rolle gespielt haben. Kleinere epidemische Ausbrüche der Legionärserkrankung, des pulmonalen Hanta Virus Syndrom, die SARS Epidemie und das Auftreten der neuen Influenza, der sog. „Schweinegrippe“ (Influenza A/H1N1), zeigen, dass sich die Intensivmedizin in Zukunft auch auf das Management und den Umgang mit pan- oder endemisch auftretenden Infektionserkrankungen einstellen muss, sofern diese zu vital-bedrohlichen Verläufen führen. Obwohl derzeit sicherlich die Influenza mit ihren unterschiedlichen Virustypen besonderes Augenmerk im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für die intensivmedizinische Versorgung erhält, ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, prospektiv, das nächste pandemische auftretende Pathogen zu identifizieren, das zu einer relevanten Zahl von intensivmedizinisch-versorgungspflichtigen Patienten führen kann.
Diese Sätze entstanden zur Erstauflage dieses Buches vor mehr als 12 Jahren und haben sich in einer Art und Weise realisiert, die sich auch der Autor in dieser Form nicht hätte vorstellen können. COVID-19 hat die medizinischen Strukturen auch hochentwickelter Staaten mit einer bis dahin unvorstellbaren Wucht getroffen und dabei auch – geglaubt und gefühlt – wohlorganisierte und gutausgestattete Medizinsysteme binnen Wochenfristen an die Grenzen der erforderlichen Ressourcen für Personal, Material und Medikamente geführt. Es wird die Herausforderung für Gesellschaft, Politik, Medizin und ihre (intensiv)medizinischen Fachgesellschaften sein, über einen breiten nationalen und internationalen Erfahrungs- und Wissensaustausch über die aktuelle Pandemie bessere Wege und Strategien zu entwickeln, mit denen man mit einer möglichen neuen, zukünftigen Pandemie ähnlichen Ausmaßes umgehen kann. Die aktuelle Pandemie stellt aber nicht nur die die fachlich-medizinische Betreuung und Versorgung von Patienten, sondern auch die ethischen Grundlagen, nach denen diese Versorgung erfolgt, vor eine maximale Herausforderung. Begrenzte Ressourcen erfordern gegebenenfalls neben dem Primat, alle Patienten gleich und nach besten Möglichkeiten zu behandeln, eine neue Dimension: diejenigen Patienten zu priorisieren, die nach bestem Wissen die größtmögliche Chance auf Überleben haben. Die Krise verschiebt die ethische Dimension von einer am individuellen Patienten orientierten Deontologie hin zu einer an der Gesamtpopulation orientierten Teleologie.
Der Verlauf der COVID-19-Pandemie hat aber zwei wesentliche Elemente geschaffen, die mehr als nur Hoffnung auf optimierte Strategien und Lösungen wecken:
1. einen nahezu ultimativen Zwang, Wege, Konzepte und Strukturen zu entwickeln, die einen optimierten Umgang mit pandemischen Krisensituationen ermöglichen und sichern. Der aus der COVID-19-Pandemie resultierende ökonomische Schaden für die einzelnen Länder und Gesellschaften ist gewaltig, die mittel- und langfristigen Folgen derzeit unabsehbar, konsekutiv ist damit aber die Bereitschaft, erhebliche Mittel für die Optimierung von Pandemieforschung mit allen ihren Facetten zur Verfügung zu stellen, groß.
2. die Erkenntnis, dass in einer globalen Welt am Ende nur globale Strategien einen nachhaltigen Erfolg in der Pandemiebekämpfung sichern können.
Die Intensivmedizin hat in allen ihren Facetten in den letzten 60 Jahren eine stürmische Entwicklung durchlaufen. Dies gilt sowohl für apparativ-technische Neuerungen, als auch für neue medikamentöse Interventionen. Gleichzeitig haben sich die Möglichkeiten der kontinuierlichen Überwachungen der Vitalparameter beständig erweitert. Modernes Monitoring umfasst weit mehr als die initial übliche Ableitung eines 3-kanaligen EKGs und die Darstellung der Herzfrequenz. Neuere Monitoring-Verfahren, wie etwa die Pulsoximetrie, erfahren durch Analyse von Variationsmustern oder der Optimierung der Signalaufnahmepunkte nicht nur eine qualitative Verbesserung im Hinblick auf das biologische Signal; die technischen Neuerungen erlauben gleichzeitig, Veränderungen früher zu erkennen, die Häufung kritischer Ereignisse zu bewerten und in die therapeutischen Entscheidungen mit einzubeziehen. Die gesamte Strecke der Aufnahme, Verarbeitung und Präsentation biologischer Signale unterliegt einem beständigen technischen Wandel. Diese Entwicklung erfordert auf Seiten der Anwender, d. h. auf Seiten der Ärzte und Pflegenden weit reichendes, spezifisches Wissen und kontinuierliche Weiterbildung.