Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 37
3.4 Institutioneller Rahmen für die Entstehung einer dialogischen Kultur
ОглавлениеInstitutionen im Gesundheitswesen haben selbst eine Moral; sie können moralisches Handeln nicht nur an Einzelpersonen delegieren, sondern müssen die Strukturen und Prozesse so gestalten, dass sie Freiräume für moralisches Denken und Handeln schaffen. Hier ist besonders die enge Verbindung zwischen Qualitätsentwicklung und Ethik zu beachten, denn Qualität ist immer auch moralisch zu bestimmen. Wenn durch ein ökonomisch geprägtes Qualitätsverständnis beispielsweise Besprechungszeiten gestrichen werden, dann ist das ein Hindernis für die Entstehung einer dialogischen Kultur (und damit für gemeinsame ethische Reflexion), und es beeinflusst die Qualität der Entscheidungsfindung auf allen Ebenen negativ.
Ein relativ neuer Zweig der Ethik, der sich mit dem Handeln von Institutionen und Organisationen befasst, ist die Organisationsethik. Das Handeln von Organisationen als solchen wird durch die Organisationsethik kritisch beleuchtet und an übergeordneten Maßstäben, z. B. ethischen Prinzipien gemessen. Für Institutionen im Gesundheitswesen lassen sich vier Säulen der Organisationsethik beschreiben (s. Tab. 2):
die Vorhaltung von Strukturen für ethische Reflexion und Entscheidungsfindung,
ein ethisch reflektiertes Qualitätsmanagement
eine positive Kultur im Gesamtunternehmen und
ein transparenter Umgang mit Fragen der Ökonomie.
Für die Frage nach Entscheidungsfindung zeigen sich die in Tabelle 2 dargestellten Zusammenhänge wie folgt: Ethische Reflexion braucht unterstützende Strukturen der klinischen Ethik, wie etwa Falldiskussionen auf den Stationen oder ethische Beratung, damit sie nicht dem Zufall überlassen bleibt. Die Verbindung zum Qualitätsmanagement kann für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern und Problemen sorgen, die ja oft Anlass ethischer Diskussionen sind. Die Kultur und Atmosphäre der Einrichtung bestimmt einerseits das Umfeld und die Möglichkeiten ethischer Reflexion, diese Kultur wird aber auch selbst durch eine institutionalisierte ethische Reflexion zum Positiven verändert. Ähnliches gilt auch für die oft ungeliebte Ökonomie: Werden finanzielle Fragen und Verteilungsprobleme offen diskutiert, kann daraus ein Gestaltungspotential werden.
Wenn sich auf Intensivstationen häufig Kontroversen an Entscheidungsfragen festmachen, dann ist das ein Indiz für einen Mangel an kontinuierlicher gemeinsamer Reflexion. Diese kann als „Stationsrunde“, mit externer Unterstützung als moderierte Falldiskussion oder Ethikberatung, aber auch in anderen Formen angeboten werden: Entscheidend ist es, mit einer gewissen Regelmäßigkeit über Fragen und Probleme in der täglichen Arbeit zu sprechen, so dass im „Ernstfall“, wenn wirklich rasch entschieden werden muss, Voraussetzungen da sind, auf die man aufbauen kann: gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung, gemeinsame Begriffe für ethische Grundsätze und eine brauchbare Struktur (Modell), die dabei hilft, bei der Entscheidung alle wichtigen Punkte zu bedenken.
Tab. 2 Organisationsethik: Wertorientierung als verbindender Faktor
Klinische Ethik | Qualitätsentwicklung | Kultur | Ökonomie |
Ethische Fall-DiskussionenEthik-KomiteeEthikberatungEthik-Visite Fortbildung | Wertorientierung des QM, nicht nur „ZDF“ (Zahlen, Daten, Fakten)Konstruktiver Umgang mit Fehlern | FührungskulturHierarchienKommunikationGemeinsamkeitsgefühl | Transparente Entscheidungen, z. B. Ressourcenverteilung, Personalausstattung, klarer Umgang mit DRG u. ä. |