Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 31
3.2.1 Überblick über die Struktur ausgewählter Modelle
ОглавлениеDie folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Struktur einiger medizin-und pflegeethischer Modelle. Anhand der Schritte, die in den verschiedenen Modellen gewählt werden, zeigen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Herangehensweisen. Allerdings gibt die Tabelle nur eine grobe Orientierung bezüglich des Vorgehens; die den Modellen zugrunde liegende Theorie und Methodik kann so nicht erfasst werden (s. Tab. 1).
Doch schon die Auswahl und Formulierung der Schwerpunkte sagt etwas aus über das Verständnis von Ethik, Medizin und Entscheidung, das die jeweiligen Autor/innen leitet. Ein Beispiel für eine sehr medizinorientierte Herangehensweise ist der Bochumer Arbeitsbogen. Hier wird ethische Reflexion nach dem Modell der medizinischen Befunderhebung betrieben, scheinbar mit ähnlichem Anspruch auf Definitionsmacht, wie sie oft ärztliche Entscheidungen auszeichnet: Die Rede ist nicht von Reflexion, sondern von „Feststellung“, nicht von Argumenten oder Wahrnehmungen, sondern von „Befunden“.
Einige Modelle sind sowohl vom Aufbau als auch von den in den Erläuterungen verwendeten Begrifflichkeiten her voraussetzungsreich, etwa das Modell von Lay, das bei den Diskutanten schon ethische Grundbegriffe wie den der Güter voraussetzt, ebenso wie die Differenzierung in „vorsittliche“ und „sittliche“ Güter. Es ist zu fragen, ob eine derart rationalistische Herangehensweise der Komplexität und Vielschichtigkeit realer Situationen und Interaktionen gerecht werden kann. Die komplizierte Struktur weckt die Illusion, durch ein „wissenschaftliches“ Modell sicher zur richtigen Entscheidung kommen zu können. Überdies erscheinen Entscheidungen dann als eine Sache für Experten, bei der normale Praktiker nicht mitreden können, weil sie sich heimlich fragen, was vorsittliche Güter sind oder nach welchen Gesichtspunkten denn jeweils die Hierarchisierung erfolgen soll (was auch im Kommentar zum Modell nicht erklärt wird).
Tab. 1 Übersicht über die Struktur von Entscheidungsmodellen
Entscheidungsfindung ist nötig, wo Unsicherheit in Bezug auf das weitere Vorgehen herrscht. Diese Unsicherheit kann man nicht ausräumen, indem man scheinbar objektive Fakten zusammenstellt und in einer Art Algorithmus bewertet. Um Konfliktsituationen und offene ethische Fragen klären und entscheiden zu können, ist neben der Bewertung der medizinisch-pflegerischen Fakten auch die Rückbesinnung auf das nötig, was die menschliche Grundsituation ausmacht:
die Zerbrechlichkeit und Endlichkeit menschlichen Lebens,
die wechselseitige Anerkennung des jeweils Anderen als Person und Individuum,
die Angewiesenheit auf Gemeinschaft und Kommunikation, aber auch
die Endlichkeit menschlichen Erkenntnisvermögens und damit
die Fehlbarkeit ethischer Reflexion.
Deshalb arbeiten einige Modelle mit der Benennung von Gefühlen der Beteiligten, es wird auch nach intuitiven Wahrnehmungen gefragt, und es wird der Versuch unternommen, die Situation aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, z. B. indem die Sicht bzw. die Wertvorstellungen der verschiedenen Beteiligten dargestellt werden oder indem alternative Handlungsmöglichkeiten mit ihren Konsequenzen gedanklich „durchgespielt“ werden.