Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 21

2.3 Verantwortlicher Einsatz der intensivmedizinischen Technologien

Оглавление

Die Intensivmedizin hat unzweifelhaft wesentliche Fortschritte in der Medizin ermöglicht. Interventionen, die heute für uns zum selbstverständlichen Standard medizinischer Versorgung gehören, wären ohne intensivmedizinische Betreuung und Versorgung nicht möglich.


Die Überwachung und Aufrechterhaltung von Organfunktionen bis hin zum temporären Organersatz stellen entscheidende Fortschritte der Medizin dar, schaffen aber gleichzeitig bei Gebrauch dieser Technologien das Spannungsfeld zwischen ihrer Nutzung zur Wiederherstellung der Gesundheit des Individuums und einer möglichen, sinnlosen Verlängerung des Sterbeprozesses.

Die Anfänge der Intensivmedizin waren davon gekennzeichnet, dass nahezu jeder Intensivpatient – selbst im offensichtlichen Sterbeprozess – wenigstens einen, meistens sogar mehrere Wiederbelebungsversuche über sich ergehen lassen musste und schließlich unter aggressiver Fortführung der Beatmungstherapie und anderer invasiver Prozeduren, häufig in Abwesenheit seiner Vertrauten und Angehörigen, verstarb. Diese im historischen Rückblick sicher verstehbare Praxis hat das Bild einer kalten, entmenschlichten Apparatemedizin entstehen lassen, das bei Betroffenen und Angehörigen häufig mehr Ängste und Besorgnis als die eigentlich intendierte Sicherheit hervorruft, dass alles für die Betroffenen Sinnvolle und Mögliche für die Erhaltung und Wiederherstellung seines individuellen Lebens getan wird. In diesem Spannungsfeld ist in der Intensivmedizin in den letzten Jahren zunehmend die Erkenntnis gewachsen, dass Lebenserhalt und Lebensverlängerung um jeden Preis in manchen Fällen kein adäquates, eben diesem individuellen Wunsch und Auftrag des Patienten entsprechendes Ziel der Behandlung darstellt. Diese Entwicklung wird auch durch die Tatsache unterstützt, dass medizinische Entscheidungen am Lebensende immer häufiger nicht im häuslichen Umfeld, sondern in Krankenhäusern und dort gerade auf den Intensivstationen getroffen werden, ja getroffen werden müssen. In den letzten Jahren setzt sich mehr und mehr eine patienten- und familienbezogene Haltung durch, die die physischen, emotionalen und existenziellen Bedürfnisse der Beteiligten und damit die Autonomie der individuellen Persönlichkeiten zu berücksichtigen versucht. 1978 beschrieben Beauchamp und Childress vier Prinzipien zur Ausübung der Medizin unter Berücksichtigung ethischer Gesichtspunkte:

1. beneficience, die Verpflichtung des Arztes, dem Patienten zu helfen, wann immer er kann;

2. nonmaleficience, die Verpflichtung Schaden zu vermeiden;

3. respect for autonomy, das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung und

4. justice, die Sicherstellung des gerechten Zugangs zu medizinischer Versorgung [Beauchamp u. Childress 1978].

Das Handeln nach diesen sicher noch immer uneingeschränkt gültigen ethischen Regeln stellt gerade für die Intensivmedizin eine besondere Herausforderung dar, da das Recht auf Selbstbestimmung zwar juristisch uneingeschränkt erhalten bleibt, de facto aber durch die häufig fehlende Fähigkeit zur Willensäußerung vom Patienten nicht selbst wahrgenommen werden kann. In diesem Konfliktfeld mag die Verpflichtung, Schaden zu vermeiden, dem Behandelnden zur Rechtfertigung aller Interventionen und Maßnahmen auch in aussichtsloser Situation dienen, der betroffene Patient (so er sich äußern könnte) dagegen mag den Einsatz dieser Mittel als Zufügen von Schaden, Leid und unwürdigem Umgang mit seiner Person am Ende seines Lebens empfinden. Dieses Dilemma wird sich nicht auflösen lassen, es ist der medizinischen Betreuung von Schwerstkranken und damit meist nicht willensbekundungsfähigen Patienten immanent. Für die Intensivmedizin gelten aber trotz und gerade wegen ihres Anspruches auf Lebenserhalt unter Extrembedingungen uneingeschränkt die in der Präambel zur Sterbebegleitung fixierten Grundsätze der Bundesärztekammer: „Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen.“ Die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen. „Die Aufgabe der Medizin ist es nicht, den Tod zu bekämpfen, sondern nur den vorzeitigen Tod.“ [Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 2004]

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

Подняться наверх