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1.3 Aufgabe, Gegenstand und Methoden der Ethik in der Medizin 1.3.1 Ethik in der Medizin als angewandte Ethik

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Die ältesten überlieferten Ansätze im europäischen Kulturraum, ärztliches Handeln in moralischer Hinsicht zu normieren, finden sich mit dem Hippokratischen Eid bereits in der Antike. Diese traditionelle Medizinethik beschränkte sich jedoch weitgehend auf professionsinterne Regelungen, die festlegten, wie sich Ärzte zueinander und gegenüber anderen – im Sinne eines Standesethos – verhalten sollten.


Als eigenständige akademische Disziplin, die mit wissenschaftlicher Methodik die moralischen Fragen und Konflikte im gesamten medizinischen Bereich reflektiert, entstand die Medizinethik erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Gründe für diese Entwicklung sind weithin bekannt: Der medizinischtechnische Fortschritt eröffnet neue Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten, die nicht nur unsere moralische Urteilsfähigkeit, sondern auch das menschliche Selbstverständnis in besonderer Weise herausfordern. Beispielhaft erwähnt seien die intensivmedizinischen Möglichkeiten der Lebensverlängerung (z. B. die künstliche Beatmung), die Organtransplantation, die künstliche Befruchtung oder die Diagnostik des menschlichen Genoms. Dass die verfügbaren medizinischen Maßnahmen auch tatsächlich eingesetzt werden sollen, versteht sich nicht mehr von selbst, sondern erfordert häufig eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken. Gleichzeitig sind moderne Gesellschaften durch eine Pluralität von Wertüberzeugungen und Lebensformen gekennzeichnet. Auf einen gesellschaftlichen Konsens kann in vielen moralischen Streitfragen im biomedizinischen Bereich nicht mehr zurückgegriffen werden. Die anhaltenden Debatten um den moralischen Status des Embryos oder die Zulässigkeit der Tötung auf Verlangen mögen dies exemplarisch verdeutlichen. Auch das Arzt-Patient-Verhältnis hat sich gewandelt: Die ärztliche Entscheidungsautorität bleibt nicht mehr unhinterfragt, die Selbstbestimmung der Patienten gewinnt an Gewicht, der Patient wird zunehmend gleichberechtigter Partner in einem gemeinsamen Entscheidungsprozess.

Während die klassische Medizinethik vor allem ethische Fragen im Bereich von Diagnostik und Therapie behandelt, ist der Anwendungsbereich der heutigen Ethik in der Medizin breiter gefasst, weshalb man häufig auch von einer „Ethik im Gesundheitswesen“ spricht. Als Bereichsethik befasst sie sich mit allen moralischen Fragen und Problemen, die in den verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens auftreten, und thematisiert vor allem auch ethische Fragen der Organisation von Gesundheitsversorgung und Pflege. Dabei handelt es sich nicht um eine Sonderethik mit eigenen moralischen Normen, sondern um eine Ethik für ein Handeln in einem besonderen Bereich: Allgemein gültige moralische Prinzipien kommen unter Berücksichtigung der spezifischen Sachgegebenheiten zur Anwendung. Diese ethische Reflexion bleibt dabei nicht auf die „professionelle“ Ethik an den akademischen Institutionen beschränkt, sondern ist auch – und vielleicht sogar vor allem – von den verantwortlich Handelnden gefordert. Auch die zunehmend an den Krankenhäusern etablierte klinische Ethikberatung (s. Kap. 3, 4, 9) kann die moralische Kompetenz und Urteilsfähigkeit des Gesundheitspersonals nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen. Aufgrund ihrer erheblichen gesellschaftlichen Bedeutung erfordern die ethischen Fragestellungen im Gesundheitswesen zudem nicht nur eine Reflexion innerhalb der verschiedenen Berufsgruppen, sondern einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Es ist deshalb kein Zufall, dass z. B. der Deutsche Ethikrat vor allem ethische Fragen aus dem Gesundheitsbereich diskutiert. Aufgrund der Pluralität ethischer Theorien und moralischer Überzeugungen lässt sich vor allem bei Konflikten im klinischen Bereich oft nicht eine einzige, „objektiv“ richtige Handlungsoption bestimmen. Überdies beruhen viele Entscheidungen auf evaluativen Fragen des guten Lebens, die in modernen Gesellschaften unterschiedlich beantwortet werden. In diesen Fällen besteht die Herausforderung darin, eine ethisch möglichst gut begründete, die individuellen Wertüberzeugungen der Betroffenen respektierende Entscheidung zu fällen.

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

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