Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 22
2.4 Kosten
ОглавлениеIn einer Zeit ökonomischer Krisen und konsekutiver Umverteilung finanzieller Ressourcen gewinnt auch der Aspekt der Sicherstellung des gerechten Zugangs zu medizinischer Versorgung aus dem Blickwinkel der Intensivmedizin besondere Bedeutung. Intensivmedizin verbraucht etwa 15 % aller Aufwendungen für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Dabei verursacht ein relativ kleiner Anteil von schwerstkranken Intensivpatienten (8 % der Intensivpatienten) einen überproportional hohen Teil der entstehenden Kosten (fast 50 % der Ressourcen). Bei 1631 Patienten operativer Intensivstationen verursachte eine relativ kleine Patientengruppe (3 % aller Patienten) mit einer Liegedauer ≥ 20 Tage insgesamt 22 %, also nahezu ¼ der Gesamtkosten, 79 % dieser Patienten erfüllten im Verlauf ihres stationären Aufenthalts die Kriterien einer Sepsis.
Die aktuelle COVID-19-Pandemie wird unzweifelhaft einen nachhaltigen Einfluss auf die Ressourcenallokation ausüben. Die Unmittelbarkeit der Folgen einer neuen Intervention, einer Therapie mit neu eingeführten Medikamenten stellt die Intensivmedizin vor eine ganz besondere Herausforderung im Hinblick auf einen gesellschaftlich fairen Verbrauch finanzieller Ressourcen. Eine Bewertung, ein angemessenes, verantwortliches Abwägen bedarf halbwegs robuster Kriterien, auf denen eine solche Abwägung beruhen kann. In der intensivmedizinischen Literatur existieren aber selbst für „etablierte“ klinische, täglich angewandte Therapien praktisch keine Studien, die für ihren Einsatz und Gebrauch auch nur annähernd eine klassisch evidenzbasierte Basis liefern würden. Berechtigterweise unterliegen aber insbesondere neue, teure Therapien von Anfang an einer kritischen Bewertung ihrer Kosteneffektivität. An der intensivmedizinischen Betreuung und Versorgung von COVID-19-Patienten lässt sich der Konflikt um eine gerechte Ressourcenallokation in besonderem Maße zeigen. Die Pandemie hat mit hoher Dynamik zur Entwicklung neuer, teils kostspieliger Medikamente geführt, die ohne jede Datenlage sozusagen „on the run“ verbreitet eingesetzt wurden und werden. An einer relevanten Wirksamkeit einiger dieser Medikamente bestehen zum Teil erhebliche Zweifel [Wadaa-Allah et al. 2021]. Die aktuelle Pandemie legt aber auch in besonderem Maße eine andere Sichtweise über die Effizienz einer Substanz nahe, die über ihre Wirksamkeit für den individuellen Patienten hinausgeht. Man mag geteilter Meinung über die Wirksamkeit eines Medikaments für den individuellen Patienten sein, wenn der einzig messbare Unterschied zu einer Vergleichsgruppe, die das Medikament nicht erhalten hat, darin besteht, dass sie die Liegezeit auf einer Intensivstation um 1,5 Tage verkürzt. Dieser „Gewinn“ von 1,5 Tagen bedeutet aber gleichzeitig auch, dass die wertvolle Ressource Intensivtherapie anderen Bedürftigen früher und quantitativ häufiger zur Verfügung gestellt werden kann.
Es gilt die Balance zu finden zwischen dem Einsatz neuer Therapien und Therapieformen, für die unstrittiger Bedarf besteht, – auch dann, wenn diese kostenintensiv sind – ohne dabei dem Gebot einer gerechten Verteilung finanzieller Ressourcen für die Gesellschaft und Allgemeinheit der Intensivpatienten zu widersprechen.
Die gesellschaftliche Entwicklung und medizinisch-technische Neuerungen werden aber voraussehbar, unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg einzelner innovativer Ansätze den Anteil an Aufwendungen für die Gesundheitsversorgung allgemein und in besonderem Maße für eine adäquate intensivmedizinische Behandlung anwachsen lassen.
Folgerichtig führt dies entweder zu einer Umverteilung vorhandener Mittel und damit zur Verknappung von Mitteln an anderen Stellen des Gesundheitssystems, oder zu einem steigenden finanziellen Bedarf für das gesamte System. Auch in diesem Konfliktfeld wird die Intensivmedizin in der Zukunft ihre Aufgaben transparent definieren und in ein annehmbares Verhältnis zu den erzielten und erzielbaren Ergebnissen stellen müssen.