Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 24
2.6 Kompetenzförderung als gemeinsame Aufgabe
ОглавлениеIn Deutschland ist im Bereich der Pflege eine Fachweiterbildung im Bereich der Intensivmedizin mit einem umschriebenen Curriculum entstanden. Innerhalb der Ärzteschaft entstand eine Diskussion um die Einführung eines eigenen Facharztes für Intensivmedizin. Europa hat mit einer Empfehlung der UEMS (Union Européenne des Médecins Spécialistes; European Union of Medical Specialists) in dieser Frage für die nächsten Jahre eine klare Entscheidung getroffen, Intensivmedizin gilt damit als eine particular competence, die als Supraspezialität auf dem Boden einer vorausgegangenen Facharztweiterbildung erworben werden kann. Mit dieser Lösung wird sowohl der Anforderung an spezifisch-intensivmedizinisches Wissen, als auch der Anbindung an eine Mutterdisziplin sinnvoll Rechnung getragen.
1971 wurde in den USA die Society of Critical Care Medicine (SCCM) gegründet. Sie startete im gleichen Jahr mit der Herausgabe ihrer Fachzeitschrift Critical Care Medicine. 1982 wurde in Europa die European Society for Intensive Care Medicine (ESICM) gegründet. Heute ist die Gesellschaft mit weit über 4.000 aktiven Mitgliedern die zweitgrößte intensivmedizinische Berufsgesellschaft hinter der SCCM. Interessanterweise sind etwa 20 % der Mitglieder der ESICM Einwohner nicht europäischer Staaten.
In Deutschland ist die DIVI die Fachgesellschaft, die die Interessen der in der Intensivmedizin tätigen Fachgesellschaften und Ärzteschaft vertritt. Die Aufgaben der Gesellschaften erstrecken sich in Wissensvermittlung und Weiterbildung bis hin zur politischen Repräsentation der Interessen der Intensivmedizin. Sie ist in der Zeit der COVID-19-Pandemie ihren Aufgaben mit dem Intensivregister und ihren Empfehlungen und Stellungnahmen in besonderem Maße gerecht geworden und hat damit die herausragende Bedeutung einer solchen fachübergreifenden Organisation sicht- und spürbar werden lassen. Mit CoBaTrICE (Competency-based training in intensive care medicine in Europe) hat die ESICM ein bislang einmaliges Programm aufgelegt, das nicht nur die fachliche Qualifikation eines Intensivmediziners beschreibt, sondern auch die Wege, auf denen die entsprechenden Kompetenzen erworben werden. Damit wird Intensivmedizin allerdings auch formal zu einer Spezialität, für die besondere und definierte Kompetenzen und Trainingsprogramme erforderlich sind.
Die moderne Intensivmedizin stellt aufgrund der multi- und interdisziplinären Anforderungen und ihrer besonderen Stellung innerhalb der Strukturen einer Krankenhausorganisation eine besondere Herausforderung für alle beteiligten Berufsgruppen, insbesondere aber für die dort tätigen Ärzte und Pflegekräfte dar.
Derzeit erfolgt die intensivmedizinische Versorgung nahezu europaweit (außer in Spanien und der Schweiz) durch Ärzte, die aus verschiedenen Fachgebieten kommen und auf der Basis ihrer Fachweiterbildung die „spezielle Weiterbildung Intensivmedizin“ als besondere Spezialisierung oder besondere Kompetenz erworben haben. In Deutschland sind nach der aktuellen Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) daran die Fachgebiete Anästhesie, Chirurgie, Innere Medizin, Neurologie und Pädiatrie beteiligt. Dabei unterscheiden sich Zielsetzung, formelle Gestaltung und zeitliche Vorgaben je nach der entsprechenden Fachrichtung.
Das CoBaTrICE-Projekt stellt eine europaweite interdisziplinäre Initiative dar, die intensivmedizinische Ausbildung in Europa zu harmonisieren und damit ein vergleichbares Niveau der intensivmedizinischen Ausbildung in Europa zu etablieren und sicherzustellen [www.cobatrice.org]. Hierfür wurden Fähigkeiten als Ausbildungsziele identifiziert, die sowohl fachliche, manuelle, technische, soziale, kommunikative als auch organisatorische Kompetenzen umfassen. Insgesamt stellt das CoBaTrICE-Projekt die erstmalige Chance dar, eine europaweit einheitliche Qualifikation in der ärztlichen Ausbildung zu etablieren. Dass gerade die Intensivmedizin der Motor für eine solche Entwicklung ist, entspringt ihrer medizinischen und ökonomischen Bedeutung, aber auch der immanenten Interdisziplinarität und der notwendigen Bereitschaft zur fach- und länderübergreifenden Kooperation. Zukünftige Entwicklungen in der Intensivmedizin werden, da die intensivmedizinische Forschung sich immer mehr hinentwickelt zur Erforschung der grundlegenden Mechanismen einer Erkrankung, einerseits bestimmt von der Ausrichtung und Qualität translationaler Forschung, andererseits von einer patientenorientierten Outcomeforschung, die die Basis für Empfehlungen und Richtlinien liefert, an Hand derer klinische Intensivmedizin im Alltag betrieben und ihre Qualität überprüft werden kann.