Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 32
3.2.2 Grundschritte ethischer Reflexion
ОглавлениеDer „Kern“ ethischer Reflexion sind die Grundschritte Situationsanalyse, ethische Analyse und Fazit bzw. Entscheidung, die sich in unterschiedliche Ausdifferenzierung und Reihenfolge in allen Modellen wiederfinden. Bei einigen Modellen sind Situationsanalyse und ethische Analyse miteinander verknüpft [Fry 1994; Lay 2004]. Tatsächlich sind ja auch in einer Situationsanalyse immer schon spontane moralische Urteile enthalten. Bereits die Art, wie ein „Fall“ oder eine „Geschichte“ erzählt wird, enthält Vorannahmen.2 Damit eine verantwortliche Entscheidung getroffen werden kann, müssen zwar die Fakten sorgfältig besprochen werden, sie dürfen aber nicht selbst unbemerkt normativ werden.
Beispielsweise werden bei Auseinandersetzungen über das Für und Wider der Weiterführung einer Therapie bei nicht äußerungsfähigen Patienten medizinische Befunde oder Laborparameter „normativ“, wenn sie etwa eine leichte Besserung anzeigen, und daraus dann die Begründung für eine Weiterführung der Therapie abgeleitet wird, ohne dass weitere Faktoren, wie Lebensumstände, Bedürfnisse sowie Erfahrungen oder Wahrnehmungen der Angehörigen oder der Pflegenden, in die Entscheidung einbezogen werden. Die „objektiven“ Befunde haben dann ein größeres normatives Gewicht als andere Wahrnehmungen, ohne dass dies explizit und diskutierbar wird.
Um zwischen der Geschichte und ihrer Bewertung zu unterscheiden, ist die Trennung zwischen Situationsanalyse und ethischer Analyse sinnvoll; es muss den Moderatoren jedoch klar sein, dass diese Trennung zu methodischen Zwecken geschieht, um die Reflexion zu systematisieren – im „wirklichen Leben“, im tatsächlichen Denken und Argumentieren sind die beiden Dimensionen oft vermischt. Es empfiehlt sich, entweder zu Anfang der ethischen Analyse oder in deren Verlauf explizit die Frage nach dem ethischen Problem zu stellen, wie dies auch viele der Modelle vorsehen (Kettner, Körtner, Nijmegener Methode, Rabe, Vollmann).