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1.2 Soziale Angststörung und soziale Phobie

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Schüchternheit ist ein Vorläufermerkmal sozialer Angst, das die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine soziale Angststörung im Laufe der Kindheit zu entwickeln. Schüchternheit ist eng mit dem Temperamentsmerkmal Verhaltenshemmung verknüpft (vgl. Abschnitt 2.1). Im Zentrum einer Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters steht die Angst vor sozialen Situationen, in denen die Kinder fremden, unvertrauten Personen begegnen können. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich bei den fremden Personen um Gleichaltrige oder Erwachsene handelt. Die anhaltende Ängstlichkeit führt zu Vermeidungsverhalten dieser sozialen Situationen. Auch sorgt sich ein Kind, ob sein Verhalten Fremden gegenüber angemessen ist. Es reagiert mit Verlegenheit und Scham, was z. B. am Erröten erkennbar ist. Durch das Vermeidungsverhalten besteht die Gefahr sozialer Isolation, was bei Kindern zu Defiziten in der sozial-emotionalen Entwicklung führt (Petermann & Suhr-Dachs, 2013). Um zu unterscheiden, ob es sich um ein nur schüchternes Kind handelt oder schon um eine Angststörung, müssen eine Reihe von Kriterien, die im Klassifikationssystem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sind, herangezogen werden (Dilling & Freyberger, 2019).

So ist weiter von Bedeutung, dass ein sozial ängstliches Kind vertrauten Personen gegenüber, wie den Eltern, Geschwistern und Freunden, zu altersüblichem Kontaktverhalten fähig ist. Auch muss das ängstliche Vermeidungsverhalten deutlich über das altersübliche Maß hinausgehen und eine hohe Stabilität aufweisen sowie vor dem sechsten Lebensjahr bereits auftreten.

Kommt bei älteren Kindern und Jugendlichen eine ausgeprägte Bewertungsangst, ein geringes Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik hinzu, dann spricht man nicht mehr allein von einer Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (ICD-10: F 93.2), sondern von sozialen Phobien, die im Erwachsenenbereich der ICD-10 (F 40.1) beschrieben sind. Diese Klassifikationskriterien der sozialen Phobien stimmen weitgehend mit den Kriterien bzw. Symptombeschreibungen der sozialen Phobie im DSM-5 (2015; Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) überein, welches von der American Psychiatric Association herausgegeben worden ist. Zudem gibt es im DSM-5 (2015) die Möglichkeit einer Zusatzcodierung, und zwar die Leistungsangst betreffend. Diese wichtige Zusatzcodierung kann angewendet werden, wenn sich die soziale Angst ausschließlich auf Situationen bezieht, die einen Leistungscharakter aufweisen und die mit einer Bewertung verbunden sind oder sein können. Es spielt die soziale Hervorhebung oftmals dabei eine Rolle, ebenso wie die Angst vor negativer Kritik. Solche Situationen treten typischerweise in der Schule auf, wie vorlesen, vortragen, antworten, zur Tafel gehen, vorsingen, eine Turnübung ausführen und Ähnliches. Die Zusatzcodierung darf also nur dann vergeben werden, wenn keine Angst vor sozialen Situationen ohne Leistungscharakter vorliegt (vgl. auch Petermann & Petermann, 2015, S. 20).

Im Alltag kann man Kinder und Jugendliche mit sozialer Ängstlichkeit bzw. sozialer Phobie nicht nur an ihrem Vermeidungs- und Rückzugsverhalten erkennen, sondern auch an Weinen, Erstarren, Passivität oder auch an Wutanfällen, wenn soziale Situationen unvermeidbar sind. Durch die hohe körperliche Erregung müssen die Kinder häufig zur Toilette, haben starkes Herzklopfen, fallen durch übermäßige Blässe oder aber Erröten auf. Diese Symptome reichen an eine Panikattacke heran.

Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule

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