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Wie äußert sich Schüchternheit?

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Schüchternheit hat viele Gesichter. Sie kann sich als zurückhaltendes, scheues Verhalten zeigen und von anderen Personen durchaus als angenehm, als Bescheidenheit und Zurückhaltung, wahrgenommen werden. Sie kann sich auch hinter einem exponierenden Verhalten verstecken. So liest man immer wieder über Musiker, wie z. B. Bob Dylan, dass er im privaten Leben eine sehr introvertierte, manchmal fast schüchtern wirkende Person ist, obwohl er seit über 50 Jahren auf der Bühne steht. In seiner Autobiographie beschreibt der Revolutionär Mahatma Gandhi eindrücklich seine Schüchternheit in der Kindheit:

»Ich war immer schon sehr scheu und vermied allen Umgang. Bücher und Schulaufgaben waren meine einzigen Gefährten. Täglich war ich mit dem Glockenschlag in der Schule, und sobald der Unterricht aus war, rannte ich wieder nach Hause – rannte buchstäblich, denn ich konnte es nicht ertragen, mit irgendwem zu reden, und zitterte bei dem Gedanken, man könnte sich über mich lustig machen« (Ghandi, 1983, S. 9).

Leidensdruck und Unsicherheit begleiten diese Menschen sowie die ständig kreisenden Gedanken um ihre eigenen Fähigkeiten, die in ihren Vorstellungen nicht genügend sind.

»Derzeit gibt es keine einheitliche Definition von Schüchternheit und es liegen – anders als zum Beispiel bei psychischen Störungen – auch keine festen Kriterien vor, nach denen wir entscheiden könnten, ob jemand schüchtern ist oder nicht. Das wäre auch gar nicht unbedingt sinnvoll, denn Schüchternheit ist als dimensionales Merkmal auf der Persönlichkeitsebene verankert. Es gibt also keine klare Grenze: Wir sind alle mehr oder weniger schüchtern« (Fehm, 2013, S. 1).

Schüchternheit ist schwer zu fassen, und es scheint keine Kategorisierung zu geben.

Auch nach Zimbardo (2002) »ist Schüchternheit ein schillernder und komplexer Begriff« und bedeute für jeden Menschen etwas anderes: »Letztendlich ist einer schüchtern, wenn er glaubt es zu sein …« (zitiert nach Eisner, 2012, S. 10).

Fast jeder kennt das Gefühl in Situationen, in denen er sich exponieren muss, er im Mittelpunkt steht und sich die Aufmerksamkeit aller auf ihn richtet, dass er angespannt und aufgeregt ist. Solche »leichten soziale Ängste« sind weit verbreitet. Es kommen einem Gedanken darüber, ob man den Anforderungen genügen wird, was die anderen von einem erwarten, man beginnt vielleicht zu schwitzen und bekommt Herzrasen. Diese Aufregung vor etwas Neuem, vor einer herausfordernden sozialen Situation, wird oft als Lampenfieber bezeichnet. Im schlimmsten Fall kann es bis zur Handlungsunfähigkeit führen. Doch diese hohe Anspannung ist nicht nur negativ zu bewerten, denn sie unterstützt uns dabei, auch Höchstleistungen zu erbringen. Dafür sorgen die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, sie führen zu gesteigerter Konzentration und Aufmerksamkeit.

Schüchternheit als Charaktereigenschaft liegt auf einem Kontinuum zwischen ganz »normaler« Schüchternheit bis hin zu einer behandlungsbedürftigen sozialen Phobie. Der Übergang ist nur schwer zu bestimmen. Asendorpf (1998) unterscheidet bei Kindern zwischen Gehemmtheit gegenüber dem Unbekannten und Gehemmtheit aus Angst vor Ablehnung von Gleichaltrigen aufgrund schlechter Erfahrungen. Der erste Subtyp wird als Temperamentsmerkmal verstanden, wobei auf Unbekanntes mit Vermeidungsverhalten reagiert wird. Die zweite Form von Schüchternheit führt er auf Lernerfahrungen zurück. Dadurch, dass das Kind früher Ablehnung erfahren hat, erwartet es auch jetzt wieder, abgelehnt zu werden. Dadurch entsteht ein unsicherer, gehemmter Umgang mit sozialen Kontakten. So halten sich schüchterne Kinder meist im Hintergrund, vermeiden Blickkontakt, sprechen ganz leise und beteiligen sich nicht am Unterricht, auch wenn sie die Antwort auf eine Frage kennen. Sie versuchen gar nicht erst, in Situationen zu geraten, in denen sie die Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler/-innen auf sich ziehen und möglicher Kritik ausgesetzt sein könnten. Konflikte und Kontakte mit Mitschüler/-innen sind für sie Stressmomente, die es zu meiden gilt. Die Schule kann für diese Kinder schnell ein angstbesetzter Ort werden, der für sie ein emotionales Dilemma darstellt: Einerseits möchten sie gerne Kontakt haben und in der Klasse dazugehören, andererseits ziehen sie sich zurück und zeigen wenig emotionale Reaktionen auf ihr Umfeld. Ihr mangelndes Selbstbewusstsein hindert sie an der sozialen Interaktion, die notwendig wäre, um altersgemäße soziale Erfahrungen zu machen. Der Entwicklungspsychologe Asendorpf spricht von einem »Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt«. Lernen sie die fremden Menschen aber besser kennen, beginnen sich diese Kinder wohl zu fühlen. Der Angstforscher Borwin Bandelow (2007) erklärt in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Diese Charakterzüge per se sind noch kein Grund zur Beunruhigung. »Es gibt Schüchternheit und die sogenannte soziale Phobie. Die Grenze zwischen beiden ist fließend. Wichtiger als diese Abgrenzung ist aber ohnehin die Frage, ab wann jemand behandlungsbedürftig ist.« (FAZ vom 21.10.2007).

Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule

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