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Einleitung
ОглавлениеDie Überlegungen, die ich im Folgenden anstellen möchte, drehen sich um den begrifflichen Zusammenhang zweier wesentlicher Merkmale des alltäglichen menschlichen Selbstverständnisses. Ich meine erstens die Erfahrung, ein freies Wesen zu sein und zweitens die Erfahrung, durch Normen zu bestimmten Handlungen bzw. Handlungsweisen verpflichtet zu sein. Diese beiden Grunderfahrungen menschlichen Daseins scheinen sich auf den ersten Blick schlecht miteinander zu vertragen: Frei zu sein, so könnte man meinen, heißt auch frei zu sein von Normen, die das selbstbestimmte Wählen und Wollen reglementieren und damit einengen. Die Lage wird dadurch noch verzwickter, dass die Rede von praktischen Normen nur dann sinnvoll ist, wenn diese Normen an Wesen gerichtet werden, die nicht fremdbestimmt, sondern in irgendeinem Sinne selbstbestimmt sind. Denn praktische Normen sind solche, die vorschreiben, was getan werden soll. Wer nichts für sein Verhalten kann, an den können auch keine normativen Forderungen gerichtet werden. Wir scheinen somit vor der paradoxen Situation zu stehen, dass praktische Normativität zwar der Freiheit bedarf, umgekehrt aber Freiheit nur ohne die Zwänge des Sollens Freiheit zu sein scheint.
Im Folgenden möchte ich versuchen, das Verhältnis von Freiheit und praktischer Normativität zu erhellen und die vermeintliche Spannung zwischen diesen beiden aufzulösen. Meine Leitthese lautet, dass Freiheit wohlverstanden nicht völlige Ungebundenheit bedeutet, sondern die Verpflichtung, das Richtige zu tun. Diese Verpflichtung ist aber keine fremde, uns von außen aufgezwungene, sondern selbstbestimmte Selbstverpflichtung.
Philosophiehistorisch gesehen liegen die Wurzeln eines solchen Freiheitsbegriffs wohl in der Philosophie Kants. Ich möchte mich in meiner Argumentation allerdings nicht auf Kant, sondern auf Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts beziehen. Zweifelsohne hat Hegel Kant in diesem Punkt viel zu verdanken. Dass ich mich im Folgenden an Hegel und nicht an Kant orientiere, liegt schlicht daran, dass ich die von Hegel vertretene Freiheitskonzeption für die überzeugendere halte; dies u.a. deswegen, weil sie bestimmte motivationstheoretische Probleme bezüglich der Rolle menschlicher Leidenschaften und Interessen von Anfang an vermeidet.
Ich werde in drei Schritten verfahren. Erstens werde ich Hegels Freiheitsbegriff aus der Einleitung der Rechtsphilosophie rekonstruieren und dafür argumentieren, dass Freiheit als selbstbezügliche Selbstbestimmung zu verstehen ist. Zweitens werde ich darlegen, warum Freiheit, wenn sie als selbstbezügliche Selbstbestimmung verstanden wird, den Raum praktischer Normativität eröffnet. Drittens möchte ich eine motivationstheoretische Konsequenz skizzieren, die sich aus dem von Hegel vorgeschlagenen Zusammenhang von Freiheit und praktischer Normativität ergibt.