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I.
Оглавление„Bitte sagen Sie jetzt nichts!“ (Loriot 2011)
Niklas Luhmann hat in seinem Werk „Liebe als Passion“ (Luhmann 1994) an die soziale Erwartung erinnert, dass Liebesgefühle, die erwidert werden wollen, erst kommunikativ auf ihre Belastbarkeit hin ausgewiesen, sich also einer Art Stresstest aussetzen müssen, damit sie von Adressaten als glaub- und vertrauenswürdig nachvollzogen werden. Weil der/die Andere die Unterscheidung noch nicht treffen konnte, die das echte vom bloß vorgespielten Gefühl, gar vom Schwindel, trennt, erwacht in der Selbstbeobachtung eine bislang noch schlafende Seite der Vernunft: es ist die Skepsis. Von nun an wird kritisch nachgefühlt.
Solche Skepsis der anderen Seite kann aber durch eine gelingende Performanz der Eindruckserweckung zerstreut werden. Erinnert werden soll hier – aufgrund verfehlten Biologismus-Vergleichs – gar nicht an die eindrucksvollen Nistbau-Tänze der Paradiesvögel-Männchen; eher an das Vorbringen von Argumenten, es sei besser, wenn man sich mal ‚beim Italiener‘ treffen würde. Denn da erhofft sich das gefühlsbesitzende Individuum günstige Gelegenheit zu beweisen, dass Innerstes und Äußeres, Gefühl und Inszenierung tatsächlich in angemessener Verbindung stehen.
Als besonderer Typ der Leidenschaft, als „Passion“, so die Nüchternheit dieser Theorie, kann Liebe erst dann überzeugen, wenn sie in symbolisches Handeln übersetzt, codiert und der Code auch entziffert wird. Folglich müssen Beweise her: galante Worte, die die Einzigartigkeit des Moments zelebrieren, Geschenke, die nicht jeder kriegt, allerlei uneigennütziges Tun, das von der Selbstlosigkeit dessen künden soll, der da an den Start geht – getrieben von einem erheblichen Teil seines Selbst. Droht dem sorgfältig ausgearbeiteten Performanzvorhaben das Scheitern, etwa durch die Tücke des Objekts – z.B. die sich auf dem Antlitz des Bewerbers verfangende Nudel aus Loriots gleichnamigen Sketch, dann gilt es, aller Irritation zu Trotz, die Oberhand über Konversation zu behalten. „Nein, sagen Sie noch nichts!“
So wird das Unwahrscheinliche, das Wunder der Liebe, durch die richtige Nutzung des Codes wahrscheinlicher. Die Bedienung des Codes soll das Innere des Anderen so triggern, dass entsprechende interaktive Anschlusshandlungen ausgelöst und sogar durchgeführt werden können. Und so kann es kommen, dass dann ein Geburtenjahrgang auf den nächsten folgt.
Gelingt das dazu nötige Einvernehmen in Einzelfällen nicht, kann es sein, dass der Wind sich dreht und das Feuer der Leidenschaft auf der Seite der Skepsis zu lodern beginnt. Nicht Liebe, sondern Skepsis wird zur Passion. Längst vom Anlass abgelöst, macht sie daraufhin Einiges von sich her. Sie wächst zu einer Haltung an, die fortan den Zugang zur Welt schlechthin bestimmt – auch den Zugang zur Welt des eigenen Selbst. Es ist ein prüfender Zugang zu Dingen und Menschen, eine leidenschaftlich verfolgte Nüchternheit1.
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