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2. Der Stachel der Ethik
ОглавлениеEthik beziehungsweise die ethische Reflexion erfüllen in unserer Zeit zweifellos eine wichtige Funktion. Gerade im Zusammenhang mit Fragen der Aufklärung lässt sich ethisches Nachdenken nicht mehr aus dem gesellschaftlichen Diskurs der (Post-)Moderne wegdenken.1 Ob es um Fragen der Genetik, den Umgang mit der Ökosphäre oder schlicht um das Zusammenleben von Individuen und Gruppen geht, Ethik (und Moral) sind immer mit im Spiel. Ethik kommt praktisch überall zum Einsatz, was einer inflationären Handhabe eher zu- als abträglich ist – und im schlimmsten Fall zu Heuchelei und zu einem „Tun-Als-Ob“ (siehe Ruhnau/Kridlo/Busch/Roessler 2000) führen kann. Dennoch hilft uns Ethik dabei, unsere moralischen Grundlagen und Einstellungen zu durchdenken.2 Zudem möchte ich Ethik insofern als einen „Stachel“ begreifen, als dieser uns antreibt, über ungerechte Zustände der Welt nachzudenken (und womöglich etwas dagegen zu tun). In einem sehr instruktiven Beitrag hat Jelica Šumič (1997) auf die schwierige Beziehung zwischen Ethischem und Politischem bereits hingewiesen. Nachdem lange Zeit die Ethik aus dem öffentlichen Diskurs der Moderne ausgeschlossen war, trifft man sie als eines der zentralen Themen wieder in eben diesem öffentlichen Diskurs an. Dazu schreibt Šumič dezidiert:
Sie (die Ethik) scheint als eine Art schlechten Gewissens überall dorthin zurückzukehren, von wo sie zuvor verbannt wurde. So kann heute sozusagen von einer ‘Rache der Ethik‘ gesprochen werden. Die Berufung auf die Ethik bzw. das Gute ist zum handlichen Rechtfertigungsmittel fast jeden Geschehens geworden (Šumič 1997: 231).
So werden im Namen biopolitischer Maßnahmen Frauen in Gebärmaschinen verwandelt; im Namen der Menschenrechte wird überall dort (und nur dort) militärisch eingegriffen, wo dies von Mächtigen so entschieden worden ist, also genauer dort, wo die Nichtbeachtung der Menschenrechte mit den Interessen der jeweiligen Realpolitik zusammenfallen. Ethik und ethische Reflexionen existieren jedoch nicht in einem abstrakt-theoretischen Raum, sondern diese sind in gesellschaftliche und politische Ordnungsmuster eingebunden, so dass zwingend über das Verhältnis zwischen dem Ethischen und der Politik/dem Politischen nachgedacht werden muss (siehe Reese-Schäfer 1997).