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V. Skepsis als Populismus: vom Behagen an Resignation
ОглавлениеVom sogenannten Euroskeptiker Nigel Farage, einer der treibenden Kräfte der Beendigung der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union, kam das statement, er habe 20 Jahre dem Lebensziel des Austritts gewidmet. Nach der gewonnen Abstimmung des Referendums wolle er sich aber doch lieber seinem Privatleben widmen, sagte er in seiner resignation-speech.1. Mit den praktischen Konsequenzen seiner leidenschaftlich betriebenen Euroskepsis wollte er nichts zu tun haben. Die Negativität, die in seinem anhaltenden Zweifel am Sinn der der EU-Mitgliedschaft lag, war immer auch mit gewagten Versprechungen über die zukünftige Unabhängigkeit des Landes verknüpft, als positive Verheißung. Er hatte sich – independence day – der Positivität einer Vision verschrieben, die ihrerseits die Skepsis seiner Gegner lautstark zur Seite wischte. Die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens wurde durch Desinformationen zur Rolle des Landes in der EU begleitet, die von Aktivisten und Teilen der Massenmedien gestreut wurden: seht her, es gibt monetäre Fakten, die eben keinen Zweifel mehr zulassen, „we send the EU £ 350000 a day“.2
Doch offensichtlich hat diese Spielart passionierter Skepsis eine Anziehungskraft, die nicht Wenige, die sie für eine aufrechte Haltung hielten, aufgebaut auf einem Bündel guter Argumente, im Nachhinein bereuen. Dieser Typ der sogenannten Euroskepsis geriet so noch stärker ins Zwielicht, das wiederum Skepsis-Skeptiker innerhalb Britanniens und vom Kontinent auf den Plan gerufen hatte. Wer Skepsis so stark auf Passionen der Abwehr, auf der Angst vor dem Verlust von politischer Selbstkontrolle aufbaut, Angst vor Überformung durch die EU und vor der Einwanderung geflüchteter Menschen, rückt sie als wirkmächtiges Instrument in die Strategie des Populismus. Begleitet von aufflackernden Gefühlen der Fremdenfeindlichkeit schwimmt sie auf den Wellen einer Leidenschaft, an deren Ende eine Entscheidung steht: nun gerade nicht mehr zu zweifeln. No doubt about it.
Paradoxerweise gipfelt diese populistische Skepsis im Ausruf des Austritts-Aktivisten Michael Gove: “People in this country have had enough of experts!”3: Experten haben das Monopol auf Skepsis verloren, der Ball liegt in unserem Spielfeld, wir, die wir stolz sind, keine Experten zu sein – independent of knowledge.
Darin gerät Skepsis zu einem Zerrbild ihrer selbst. Denn Skepsis meint doch eher eine Kultur sorgfältig erarbeiteter, kühl und distanziert vorgetragener Einwände, in der Argumente genannt und sie im Lichte von Wissen und Urteilskraft abgewogen werden – das Milieu des herrschaftsfreien Diskurses schlechthin. Mögen auch Gefühle diesen Prozess des Argumentierens begleiten, so hält sie sich zugute, zwischen beidem – Argument und Gefühl – doch deutlich unterscheiden zu können. Mehr noch: sie sieht sich geradezu in der Pflicht zur Selbstbeobachtung, ob und welche Emotionen ins Spiel kommen und dies den Adressaten auch offen zu sagen. Dass es Machtgefühle sind, in deren Dienst die Skepsis genommen wird, zeigt, wie wenig sie dem entgegenzusetzen hat und wie weit die Utopie vernünftiger Verständigung zurückgewichen ist.