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3. Moralische Übungen für eine gefestigte autonome Ethik?1
ОглавлениеDie Person des Ethikers oder der Ethikerin bedarf argumentativer Übung. Man muss nicht so weit gehen, wie die Rhetorik-Schule eines Cicero, in welcher die angewandten rhetorischen Mittel gegenüber dem Gehalt in eine Vorzugstellung zu geraten drohen. Aber eine ethische Scholastik im Sinne einer Kenntnis logischer Argumentationsfiguren und möglicher Fehlschlüsse ist zugleich eine moralische Übung, denn sie erzeugt argumentative Standfestigkeit. Diese Standfestigkeit ist jedoch noch mehr: der Mut, auch mit einer argumentativen Meinung allein stehen zu können, wenn ein Druck von Mehrheiten entsteht und isolierend wirkt. Mut verlangt auch eine emotionale Festigkeit, den Widerstand bei numerischer Unterlegenheit. Die Institution von Minderheitenvoten in Ethik-Kommissionen versucht dies zu stützen, nimmt aber nicht jedem einzelnen den Druck. Die Besetzungspraxis einer lobbyistischen Beschickung kann ohnehin dazu führen, dass Mut erforderlich wird: innerhalb wie außerhalb. Courage ist bei Unterlegenheit eher erforderlich, vor allem dann, wenn diese numerische Unterlegenheit als nicht veränderbar erscheint. Von dem evangelischen Theologen Reinhold Niebuhr stammt die in Gebetsform gefasste Haltung: Man solle mit Heiterkeit (oder mit Gelassenheit) ertragen, was nicht zu ändern sei, mit Mut das angehen, was geändert werden könne und die Gabe der Weisheit erbitten, zwischen beidem zu unterscheiden. Das erscheint als eine sehr realistische, aber auch als eine sehr kluge Maxime. Sie enthält jedoch mehr praktische als moralische Erfahrenheit. Denn sie tendiert zum praktischen Kompromiss. Der praktische Kompromiss ist jedoch, wie ich meine, nachgewiesen zu haben, nicht mit dem ethischen Kompromiss zu verwechseln (Mieth 1984: 113–146). Es kann aus moralischen Gründen ein praktischer Kompromiss gegen die eigene moralische Überzeugung und Argumentation akzeptiert werden. Aber dadurch darf die moralische Überzeugung und Argumentation weder aufgewogen noch aufgehoben werden. Sonst würde man nicht mehr an der moralischen Verbesserung von Kompromissen arbeiten. Man würde sich dauerhaft auf Anpassung einstellen. Man würde vergessen, wofür man einmal aus moralischen Gründen angetreten ist. Moralische Bildung ist nicht eine praktische Ausbildung in politischen Kompromissen. Diese Ebenen müssen unterschieden werden oder die moralische Klugheit, d.h. die Erkenntnis des Guten und Richtigen unter Einbeziehung der Umstände, wird zur Herrschaft des praktisch Erreichbaren. Dies mag man Politikern und Politikerinnen zugestehen oder es gar von ihnen erwarten – diese Erwartungshaltung sollte man aber der Ethik gegenüber nicht kultivieren.
Es gibt also Habitualisierungs-Vorschläge für Ethiker und Ethikerinnen, durch die es ermöglicht wird, auch in Stresssituationen zum dem zu stehen, was man moralisch für gut und richtig hält (Habermas 1976).2 Eine ethische Identität gewinnt man durch die Einheit von Theorie und Praxs. Moralischen Respekt zu trainieren heißt daher, den moralischen Richtigkeitsanspruch nicht aufzugeben, sondern mit Reverenz gegenüber einer anderen Meinung argumentativ zu begründen.