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Grundfragen Brauchen Ethiker und Ethikerinnen eine moralische Bildung?1

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Dietmar Mieth

Vermutlich würden viele, die Ethik nicht professionell betreiben, spontan diese Frage mit „Ja“ beantworten. Es ist aber auch zu vermuten, dass professionelle Ethiker und Ethikerinnen einer Distinktion zwischen moralischer Bildung, die vorteilhaft sein könne, aber nicht zum ethischen Erkennen notwendig sei, bestehen. Denn es könne doch nicht um persönliche Vorbildlichkeit als Legitimation der richtigen Erkenntnisse und Urteile gehen. Sonst wäre ja der gute Ruf, die moralische Vorbildlichkeit, wichtiger als die Argumentation des Experten. Der Experte, die Expertin sollten zwar „periti“ sein, aber dies doch eher durch die wiederholte Aneignung schlüssiger Argumentationsketten. Wir messen ja auch einen Arzt nicht daran, welche Krankheiten er selbst mit den geeigneten Mitteln überstanden hat. Oder daran, ob er selber raucht, wenn er vom Rauchen abrät. Der Experte, die Expertin sind professionell aufgestellte „Wegweiser“, die von sich weg auf den Weg weisen.

Andererseits: Vielleicht ist die Frage nach moralischer Bildung des Ethik-Akteurs bzw. der -Akteurin ähnlich wie die Betrachtung des unterschiedlichen Könnens bzw. der Kreativität bei Künstlern und Kunsttheoretikern? Vielleicht unterscheidet sich das, was Kant „Urteilskraft“ nennt, von dem, was er „vernünftige Begründung“ nennt. Hannah Ahrendt hat sich darauf bezogen. Vielleicht ist ein Moralphilosoph wie Paul Ricoeur (1995) wegen dieses Unterschiedes anders aufgestellt als die Vertreter der rein begriffsanalytischen Methoden in der Philosophischen Ethik?2 Kann der eingangs anvisierte Unterschied zwischen einer engagierten, aber nicht-professionellen Orientierung in der Moral einerseits und dem bestrittenen Anspruch auf Vorbildlichkeit in der professionellen Ethik andererseits auf sich beruhen? Das wäre dann der Unterschied zwischen gelebter moralischer Orientierung, die sich gelegentlich als Empörung einmischt, und emotionsloser Rationalität im wissenschaftlichen Ethik-Diskurs.

Oder beunruhigt diese Unterscheidung nicht gerade dadurch, dass sie persönliche Moral und professionelle Ethik auseinanderhält? Um uns damit auseinanderzusetzen, müssen wir zunächst fragen, was moralische Bildung überhaupt ist und was wir von ihr erwarten können. „Bildung“ ist ein Begriff, der auf eine deutsche Insel zu führen scheint, weil er in umliegenden Sprachgewässern (englisch, französisch) nicht vorkommt, sondern dort unter „education“ fällt, ein Wort, dass die historischen Eigenheiten des Wortes „Bildung“ (religiöse, humanistische und klassische Eigenheiten) nicht so ohne Weiteres in sich aufnehmen kann. Schauen wir also zuerst (1) auf das, was „Bildung“ im Erbe trägt und was Bildung als die Herausbildung moralischer Erfahrenheit beinhaltet. Dann (2) sehen wir uns an, was als elementarer Aufbau moralischer Bildung betrachtet und bewusst inszeniert werden kann. Dann fragen wir uns (3), was bestimmte Übungen und Habitualisierungen für die professionelle Arbeit an der Ethik bringen könnten.

Das Wort „Bildung“ wurde von Meister Eckhart (1260–1328) für die deutsche Begriffssprache geprägt (siehe Mieth 2015: 55–82). Die Sprache der „Bildung“ war zunächst eine zutiefst religiöse Sprache. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis wir in einer säkularisierten Welt diesen Klang nicht mehr hören, wenn wir „Bildung“ sagen. Wenn wir im Zeitalter Goethes oder mit dem Universitätsreformer Wilhelm von Humboldt von „Bildung“ sprechen, dann haben wir das Ideal eines vielseitig geformten und mit breiter Kulturkompetenz ausgestatteten Menschen. Noch in meiner Studienzeit war es für Bildungshungrige selbstverständlich, dass man Lehrveranstaltungen nicht nur fachbezogen besuchte, sondern um sich ganz allgemein zu bilden. „Bildung“ erschien hier als anzustrebendes Persönlichkeitsmerkmal, für das man das schulische Reifezeugnis erhielt und darauf das akademische Examen aufbaute. „Akademisch“ erinnerte hier, zumal alle künftigen Lehrer ein philosophisches Examen brauchten, noch an die Akademie Platons. Von diesem Bildungsideal haben sich Schule und Hochschule heute entfernt. Das Wort „Bildung“ gibt es mit dieser Bedeutung und mit dieser Tradition weiterhin nur in der deutschen Sprache. „Education“ im Englischen und Französischen geben das mit „Bildung“ Gemeinte nicht wieder, sondern in diesem Wort tendiert alles zur Ausbildung von Fachlichkeit und zum Erwerb von Kompetenzen. Das Wort „Bildung“ hat zwar im Deutschen weiterhin einen Beiklang, der über „Ausbildung“ und „Erziehung“ hinaus zielt, aber die Realität, in der wirtschaftliche Sachzwänge und Job-Bedürfnisse Vorrang haben, macht aus der „Bildung“ immer mehr Erlernen von Wissen und Kompetenzen und führt den Gebrauch des Wortes „Bildung“ immer mehr an die theoretische und praktische Ausbildung heran. In diesem Sinne geschieht auch Bildung m Universitätsfach „Ethik“, auch wenn dessen Zuordnung zu den Fakultäten offen ist. (Das sehen Schmalspur-Philosophen allerdings nicht ein.) M.E. hat Bildung als Prozess vor allem mit der Herausbildung von Erfahrenheit zu tun.

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