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2. Interkulturalität und Kultur
ОглавлениеSeit Johann Gottfried von Herders in seinen geschichtsphilosophischen „Ideen zur Philosophie der Menschheit“ (1784–1791) dargelegter essentialisierender Vorstellung von dem Eigenwert einer jeden Volkskultur, der ein je spezifischer Volksgeist innewohne, haben sich zahlreiche Kultur- und Interkulturalitätsbegriffe herausgebildet, die in unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Systematisierungen (etwa Casper-Hehne 1999, Bolten 2012, Ang-Stein 2015:105–139 u.v.a.m.) typologisiert wurden. Was im aktuellen Fachdiskurs konsensual nicht (mehr) als Interkulturalität verstanden wird, fasst Bolten (2016:77f.) zusammen: zum einen das Beharren auf Objektivitätsbehauptungen und Substanzverständnissen von Kultur, Homogenitätsprämissen, monokausalen Erklärungen von kulturellen Entwicklungen sowie auf einem Interkulturalitätskonstrukt als eigenständigem „Drittem“ (A + B = C); zum anderen die Reduktion von Interkulturalität auf Binärkonstruktionen, nationalkulturelle Bezüge, sog. Kulturvergleiche sowie auf sog. interkulturelle Missverständnisse und Krisen.
Jüngere Interkulturalitätsdefinitionen basieren auf einem sozialkonstruktivistischen, wissens- und bedeutungsbasierten Kulturbegriff, der Kulturen als dynamische, nach außen offene und nach innen differenzierende diskursive Konstruktionen versteht und grundsätzlich von kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten und Netzwerkorientierungen des Individuums ausgeht. Der Paradigmenwechsel von einem monokulturell angelegten Kulturverständnis hin zu einem hybriden, prozessualen lässt sich am besten an den Begriffen „Kohärenz“ und „Kohäsion“ veranschaulichen. Das Kohärenzparadigma basiert auf der Vorstellung von kultureller Homogenität und damit von Merkmalskongruenz zwischen dem Individuum und dem meist national definierten Primärkollektiv (Rathje 2009:92–94). Das Kohäsionsparadigma hingegen nimmt Diversität, Heterogenität, Divergenzen und Widersprüche als kulturelle Gegebenheit an und sucht nach dem Verbindenden und Gemeinschaftsstiftenden als stabilisierenden Faktoren. Geht man von der „Multikollektivität des Einzelnen“ (Hansen 2000), d.h. der netzwerkartigen Mehrfachverortung von Individuen in zahlreichen lokalen, nationalen und inter-/transnationalen Kollektiven, aus, so stellt die Berufstätigkeit eine organisationale Kollektivmitgliedschaft dar, bei der weitere Kollektivkonstellationen zusammentreffen (Gewerkschaften, Abteilungen, Arbeitsgruppen, Personalrat, Geschäftspartner etc.). Maßgebender Kohäsionsfaktor für den Zusammenhalt zwischen Kollektiven (nicht trotz, sondern wegen der inhärenten Differenzen) ist neben den für alle geltenden Gesetzen und übergeordneten Institutionen eine gemeinsame Sprache, die das Fundament für die Reziprozität des kommunikativen Handelns innerhalb eines Kollektivs und zwischen den Kollektiven bildet, ohne das eine gegenseitige Anerkennung nicht möglich wäre. Die differenztheoretische Idee von der Bekanntheit und Normalität kultureller Differenzen als Bestandteil sozialer Praktiken lässt sich auf das gesamte Feld der interkulturellen Berufskommunikation übertragen (z.B. Rathje 2006, 2009, 2010, Bolten 2007, 2016).