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3. Kommunikative Kompetenz als Bedingung für die Aufnahme einer Berufsausbildung

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Im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit formulierte eine Expertengruppe aus Vertretern der Arbeitgeberverbände, beruflicher Schule, der Wissenschaft sowie der Bundesagentur selbst Mindestanforderungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Berufsausbildung nur dann gelingen kann, wenn ein Jugendlicher bereits vor der Ausbildung über ein Mindestmaß an personellen und kognitiven Dispositionen verfügt. In dem von der Expertengruppe formulierten Anforderungskatalog finden sich Merkmalsbereiche der schulischen Basiskenntnisse, psychologische Leistungsmerkmale, physische Merkmale, psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit sowie die Berufswahlreife (Bundesagentur für Arbeit 2006). Auch eine Reihe von Merkmalen, die der kommunikativen Kompetenz zugerechnet werden können, sind in den Mindestanforderungen enthalten. Dies sind im Bereich der schulischen Basiskenntnisse die Merkmale Rechtschreiben, Lesen, mit Texten und Medien umgehen sowie Sprechen und Zuhören. Zu den psychologischen Leistungsmerkmalen zählt die Sprachbeherrschung und zu den psychologischen Merkmalen des Arbeitsverhaltens zählt die Kommunikationsfähigkeit.

Obwohl das von den Experten erarbeitete Konzept nicht empirisch überprüft wurde, hat es mittlerweile unter dem Namen Ausbildungsreife eine weite Verbreitung gefunden. Es dient nicht nur als Orientierungsrahmen für Jugendliche, Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer, sondern wird auch in der Berufsberatung eingesetzt und dient als Entscheidungshilfe, ob Jugendliche Informationen zu offenen Ausbildungsplätzen erhalten oder ihnen empfohlen wird, zunächst weiterführende Schulen zu besuchen.

Zur Überprüfung der schriftsprachlichen Anteile der sogenannten Ausbildungsreife untersuchte Baumann (2014) eine Kohorte von 164 Auszubildenden in den Ausbildungsberufen Anlagenmechaniker bzw. Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik, Friseur bzw. Friseurin sowie Verkäufer bzw. Verkäuferin. Die Quote der Auszubildenden mit Hauptschulabschluss lag zwischen 58 und 68 %. Das Geschlechterverhältnis war in der Kohorte ungefähr gleich verteilt, allerdings mit nur einem Prozent Anlagenmechanikerinnen und 88 % bei den Friseurinnen. 88 Auszubildende waren im ersten Ausbildungsjahr, 76 Auszubildende im letzten Ausbildungsjahr des jeweiligen Ausbildungsberufs. Über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügten 85 %, in Deutschland geboren waren 86,6 % und Deutsch als Erstsprache gaben 72,4 % der Auszubildenden an. Die der Arbeit zu Grunde liegende Überlegung von Baumann ist, dass wenn Auszubildende identifiziert werden können, die trotz Unterschreitung der Mindestanforderungen der Ausbildungsreife eine Ausbildung aufgenommen haben, ihre Abschlussprüfung bestehen und gegebenenfalls auch noch eine unbefristete Beschäftigung in ihrem Ausbildungsberuf aufnehmen können, das Konzept der Ausbildungsreife im Sinne einer Mindestanforderung nachgewiesenermaßen fehlerhaft sein muss.

Zur Feststellung der schriftsprachlichen Fähigkeiten benutzt Baumann ein breites Spektrum an Instrumenten. Sie setzt einen Rechtschreibtest (Lehmann et al. 2005) mit geschlossenem Antwortformat, einen Test zur Textproduktion (Dirim & Döll 2009) sowie einen Test zur Leserlichkeit der Handschrift (Mahrhofer 2004) ein. Sie überprüft Orthografie und Interpunktion zusätzlich anhand des Vorgehens von Dürscheid et al. (2010) und quantifiziert diese mithilfe des Oldenburger Fehleranalysewerkzeuges (Thomé & Thomé 2010). Zusätzlich werden unter Rückgriff auf verschiedene Ansätze auch Verständlichkeit und Kohärenz der Textproduktion beurteilt. Zudem werden Selbst- und Fremdeinschätzungen zu den schriftsprachlichen Fähigkeiten der Auszubildenden erhoben (Baumann 2014).

Hinsichtlich der eingesetzten Tests erreichen weniger als 20 % der Probanden zu Beginn ihrer Berufsausbildung ein Niveau, das als normnah oder normal bezeichnet werden kann. Die allermeisten untersuchten Jugendlichen sind also bezogen auf ihre kommunikative Kompetenz normabweichend oder normfern und konnten trotz dieses Defizits eine Berufsausbildung beginnen. Insgesamt bestanden 93,4 % der Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr ihre Abschlussprüfung im ersten oder zweiten Versuch. Der Anteil derer, die zum Zeitpunkt der Prüfung hinsichtlich ihrer kommunikativen Kompetenz normabweichend oder normfern waren, lag bei 84 %. 86,2 % der Jugendlichen mit einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung, die über eine Festanstellung in ihrem erlernten Ausbildungsberuf verfügen, hatten zum Zeitpunkt ihrer Abschlussprüfung normabweichende oder normferne kommunikative Kompetenzen (Baumann 2014:245). Auch wenn Baumann dies etwas vorsichtiger formuliert, muss man feststellen, dass zum Glück nicht das Konzept der Ausbildungsreife über die Aufnahme einer Berufsausbildung entscheidet, sondern die ausbildenden Unternehmen, die einen Auszubildenden einstellen. Bezogen auf die Teile des Konzeptes der Ausbildungsreife, die sich auf die schriftsprachliche Kompetenz beziehen, muss festgestellt werden, dass diese Anforderungen aufweisen, die keinesfalls eine Mindestanforderung für die Aufnahme einer Berufsausbildung sind.

Sprache und Kommunikation in der beruflichen Aus- und Weiterbildung

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