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2.2 Interkulturelle Kompetenz und ihre Messung
ОглавлениеMaßgebende Impulse zur Erforschung von interkulturellen Kommunikationsprozessen im Berufs- und Arbeitsleben kommen aus der Kontakt- und der interaktionalen Soziolinguistik, die sich ab den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt mit Kommunikationsschwierigkeiten der sog. Gastarbeiter beschäftigte und primär problembasiert war. Neutraler definieren zu dieser Zeit Knapp/Knapp-Potthoff (1990:66) „Interkulturelle Kommunikation“ als „interpersonale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, die sich mit Blick auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen Formen symbolischen Handelns unterscheiden“. Dieser frühen Definition liegt bereits der hybride Kulturbegriff zugrunde, nach dem jede Kommunikation (potentiell) interkulturell ist.
Ebenso vielfältig wie die Kultur- und Interkulturalitätskonstrukte sind die Definitionen von interkultureller Kompetenz. Es kursieren zahlreiche alternative Begriffe wie interkulturelle kommunikative Kompetenz, interkulturelle Handlungskompetenz, interkulturelle Kommunikationsfähigkeit, interkulturelle Sensibilität, interkulturelles Bewusstsein, interkulturelle Bewusstheit, (inter-)kulturelle Intelligenz, internationale Kompetenz (vgl. z.B. Thomas et al. 2005, Otten et al. 2007, Barmeyer & Bolten 2010, Moosmüller 2009), die sich oft nur in ihren Schwerpunktsetzungen unterscheiden oder aber synonym verwendet werden.
Inhaltlich beschrieben wurde interkulturelle Kompetenz zunächst als Summe von Teilkompetenzen wie z.B. Empathie, Rollendistanz, Respekt vor kultureller Vielfalt u.a., die in Merkmallisten zusammengefasst wurden. Eine systematische Zuordnung der Teilkompetenzen in kognitive, affektive und konative Teilkonstrukte leistet das sog. Strukturmodell. Dieses wurde ergänzt um den prozessualen Aspekt der synergetischen Interdependenz der in den Listen genannten Wissensbestandteile, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Motive, da diese ohne deren funktionierendes Zusammenwirken nur eine Ressourcenbasis bilden. Interkulturelle Kompetenz bezeichnet Bolten (2007:27) als „anwendungsbezogene[n] Spezialfall allgemeiner Handlungskompetenz“, der sich wie folgt darstellen lässt:
Abb. 1:
Interkulturelle Kompetenz als „Spezialfall allgemeiner Handlungskompetenz“ (Bolten 2007:27)
Interkulturelle Handlungskompetenz als transversale Orientierungskompetenz ist aber nicht nur „ein Spezialfall“, sondern bildet im Zuge der Internationalisierung aller Lebensbereiche auch die Voraussetzung für die Wirksamkeit anderer – fachlicher, sprachlicher, strategischer und weiterer – Handlungskompetenzen in interkulturellen Berufskontexten (Rathje 2006:9, Hammerschmidt 2010:218f., Bolten 2012:126–130). Sie umfasst sowohl kulturspezifische Kenntnisse der jeweiligen Rahmenbedingungen als auch kulturübergreifende Verständigungskompetenzen. Berufsbezogene interkulturelle Kompetenz kann als berufsfeldadäquate Diskurs- und Handlungsfähigkeit in interkulturellen Kommunikationssituationen (Middeke 2014:162) zusammengefasst werden, die dazu beiträgt, im Berufsalltag Normalität zu stiften und Kohäsion zwischen den auf dem Berufsfeld (inter-)agierenden Kollektiven zu erzeugen.
Zwecks Entwicklung von Instrumenten und Maßnahmen zur bedarfsökonomischen Förderung von interkultureller Kompetenz wurden Messungen zur Feststellung des Ist-Zustandes erforderlich. Die Messbarkeit von interkultureller Kompetenz ist aufgrund fehlender psychometrischer Gütekriterien umstritten, wohingegen Konsens darüber herrscht, dass interkulturelle Kompetenz sich bei unbegleitetem Kulturkontakt nicht automatisch entwickelt, sondern einer reflexiven und (bei Kindern und Jugendlichen) einer pädagogischen Unterstützung bedarf. Zur Kompetenzbeschreibung wurde in dem von der EU geförderten INCA-Projekt (Intercultural Competence Assessment, 2001–2003) nach dem Vorbild des „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen“ ein interkultureller Referenzrahmen entwickelt, der eine Einstufung in niedrige, mittlere, hohe Kompetenz nachfolgenden Profilen vorsieht: I) Ambiguitätstoleranz, II) Verhaltensflexibilität, III) Kommunikationsbewusstsein, IV) Wissenserwerb, V) Offenheit gegenüber anderen Kulturen, VI Empathie). Die textbasierten Kompetenzbeschreibungen („can do“) erfolgen anhand von drei Testarten: Fragebögen, Szenarios und Rollenspiele. Zielgruppen sind laut Inca Assessorenhandbuch (2004:4) alle Berufstätigen von den Lehrlingen und Angestellten (zwecks Förderungen der individuellen Mobilität in einem globalen Arbeitsumfeld) bis zum Arbeitgeber in der Industrie (zwecks Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit).
Prinzipiell können die Messverfahren interkultureller Kompetenz subjektiv wie objektiv sein, sich auf Selbst- oder Fremdeinschätzung oder auf empirische Beobachtungsverfahren stützen, sie können kulturspezifisch oder kulturallgemein, status- oder förderdiagnostisch sowie punktuell oder systemisch angelegt sein (Over et al. 2008:76). Bei den punktuellen geht es um die Beurteilung einzelner Teilmerkmale wie z.B. Empathiefähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Rollendistanz u.a., bei den systemisch-prozessualen um das ausgewogene Zusammenspiel aller Teilkompetenzen in interkulturellen Handlungskontexten (Bolten 2007:28–31). Unter den fünf gängigen Methoden (Over et al. 2008:70–77) der Messung von interkultureller Kompetenz – Fragebogenverfahren, Kognitive Strukturtests, Critical-Incident-Methode, Repertory Grid, Assessment-Center – ist letztere die bekannteste und am weitesten verbreitete (Kinast 2005:168, Stumpf 2007). Interkulturelle Assessment Center können eignungsdiagnostisch, z.B. für Stellenbesetzungen, oder förderdiagnostisch, z.B. in multikulturellen Schulen, angewendet werden.