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1. Ein Theater der Fremden

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Ein Theater der Fremden ist an der Zeit. Das braucht man in diesen Tagen in Deutschland und in Europa nicht eigens begründen. Wir erleben derzeit ein Ausmaß an Fremdenangst und Fremdenhass, das in unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft eigentlich für überwunden gehalten wurde. Sie entstehen aus den Folgen der Globalisierung, die Städte und Länder, Regionen und Kontinente zusammenrücken lässt, ohne dass die Welt besser würde. Im Gegenteil: Die Entgrenzung von Räumen, die ungleichen ökonomischen Entwicklungen und die Vermischung von Kulturen lösen traditionelle Bindungen auf, stellen gewohnte kulturelle Normen und Verhaltensweisen in Frage und machen die Instabilität der sozialen Lage zum prekären Dauerzustand. Das macht Angst. Die Angst führt zu neuen Politiken der Abschottung und Ausgrenzung und zu fundamentalistischen Bewegungen weltweit. Bürger_inneninitiativen gegen Flüchtlinge, die Asyl suchen, und Vereinigungen gegen die angeblich drohende Gefahr anderer Religionen und Kulturen offenbaren eine wiedergekehrte Angst vor dem Fremden, die oft in offenen Hass umschlägt. Sie muten anachronistisch an in einer Zeit, die so sehr von der internationalen Verflechtung und universellen Angleichung von Arbeits- und Lebenswelten bestimmt ist, und sind doch exakt deren Resultat. Fremdenangst und Fremdenhass und die trotzige Anstrengung, die vermeintlich eigene Kultur rein zu bewahren, sind kein Rückfall in archaische Zeiten, sondern das Produkt einer halbierten, einseitigen Weltwerdung. Global geworden ist die Welt nämlich nur auf den anarchischen Feldern der Ökonomie, der Finanzen und der digitalen Kommunikation. Vernachlässigt ist dagegen die Suche nach transkulturellen Möglichkeiten und Formen des Zusammenlebens. Es fehlt an der Konzeption und Praxis einer Konvivenz mit dem Fremden.

In dieser Situation ist das Theater gefordert. Denn Theater ist seit jeher ein entscheidendes Instrument und Medium der Selbstverständigung darüber, wie wir in Zukunft leben, wie wir überleben wollen. Nur: Wie soll ein Theater der Fremden aussehen? Welche Gestalt soll es annehmen? Ist es ein politisches Theater, das für die Fremden Partei ergreift? Wer aber sind die? Soll es in der Nachfolge eines Theaters, das sich als moralische Anstalt versteht, den Aufstand aller Anständigen gegen die moralisch verwerflichen Pegidademonstrant_in­nen propagieren? Wohl kaum, denn diese Versuche würden allesamt nur den Fundamentalismus kopieren und die Schwarz-Weiß-Zeichnung der Wirklichkeit wiederholen. Sie würden ihrerseits die anderen, diesmal die Anhänger_in­nen und Demonstrant_in­nen der extremen Rechten, ausgrenzen. Das Fremde bliebe so erneut außen vor.

Die weit verbreitete Vorstellung einer_s Fremden, die_er oder das von außerhalb aus der Ferne in unsere gewohnte kulturelle Umgebung tritt, ist dem Konzept des Interkulturalismus entsprungen. Die interkulturalistische Weltsicht geht von gegeneinander abgeschlossenen und unterscheidbaren Kulturen aus. Die Kultur der Fremden und die (vermeintlich) eigene Kultur, so die Behauptung, sind verschiedene und getrennte Welten. Geraten sie miteinander in Kontakt, z.B. im Fall von Flucht und Migration, gilt es, um Verständnis zu werben für die fremde Kultur, damit es nicht zu dem von Huntington herbeigeschriebenen „clash of civilizations“1 kommt. Eine wichtige Theaterarbeit aus der jüngsten Vergangenheit, die im Horizont des Interkulturalismus stand, ist die Produktion Morgenland von der Bürgerbühne Dresden.2 Morgenland will Vorurteile bekämpfen, die Angst vor dem Fremden nehmen und den Abendländer_in­nen die Kultur des Morgenlands nahebringen. Und bestätigt und verfestigt doch, trotz bester Absichten, die Vorstellung von in sich abgeschlossenen Kulturen und die klare Trennung des kulturell Eigenen und des Fremden. Das ist ein essentialistischer Ansatz, der weder der empirischen Erscheinung gegenwärtiger noch vergangener kultureller Lebenswelten entspricht. Kulturelle Lebenswelten in Zeiten der Globalisierung sind Hybride. Der Versuch, sogenannte Leitkulturen zu (re-)etablieren, ist zum Scheitern verurteilt. Letzterer ist darauf aus, das 18. Jahrhundert-Modell der Nationalkulturen unter veränderten Umständen wieder zu beleben, ein gespenstisches Unterfangen. Denn von Beginn an waren diese Nationalkulturen Konstrukte, die einer Realität divergierender Kräfte unterschiedlicher politischer, sozialer, religiöser Bewegungen und ethnischer Gruppierungen mehr schlecht als recht Einhalt gebieten sollten. Durchweg durchzieht kulturelle Heterogenität die Konstrukte der Nationalkulturen und ihrer Nachfolger. Die Anstrengung, die Vielfalt kultureller Lebenswelten erneut dem Diktat einer Kultur zu unterwerfen, heißt ein Phantasma zur Richtschnur kulturellen Handelns zu machen.

Hält man an den Vorstellungen des Interkulturalismus fest, hat das politische Folgen. Mit dem Konzept des Interkulturalismus verknüpft sind die Verortung des Fremden, das Konzept der Integration und die Zuschreibung kultureller Identität. Das sind allesamt Ansätze, die die Vorherrschaft der (vermeintlich) eigenen Kultur gegenüber anderen zementieren. Fremd ist dem zufolge alles, was von außen kommt, innerhalb des Eigenen gibt es nichts Fremdes. Mit dieser Exterritorialisierung des Fremden landet man unweigerlich bei seiner Exotisierung. Die Klippen, die es dabei in der Theaterarbeit zu umschiffen gilt, werden sichtbar etwa in dramaturgischen Überlegungen, den Woyzeck mit einem zwergenwüchsigen Syrer zu besetzen – ist er nicht ein Symbol für Elend schlechthin? – oder wie in der Romeo und Julia-Produktion der Bürgerbühne Dresden die Montagues und Capulets strikt nach Einheimischen und Fremden von außerhalb aufzuteilen3. In beiden Fällen bleibt das Fremde außen vor, wird aber als exotischer Reiz von der phantasmatischen Leitkultur gerne konsumiert. Generell lässt sich sagen: Je mehr sich die Theaterarbeit auf die Repräsentation einer Gruppe – der Geflüchteten, der Migrant_innen, der Postmigrant_in­nen fokussiert – umso größer ist die Gefahr der Exotisierung dieser Gruppe. Je stärker sie mit Dramaturgien der Entgegensetzung arbeitet, umso mehr wächst die Gefahr, dass das Fremde bzw. die Fremden in die Zwangsjacke kultureller Identität gesteckt werden.

Auch die Konzepte von kultureller Identität und Integration sind dem interkulturalistischen Weltbild entsprungen. Die Vorstellung kultureller Identität ist obsolet in Zeiten kultureller Hybridisierung. Hält man (verzweifelt) daran fest, z.B. mit einem Merkzettel (Leitkultur) all dessen, was angeblich deutsch ist, betreibt man, absichtlich oder unabsichtlich, das Geschäft der Fundamentalist_innen. Die Zuschreibung kultureller Identität bindet Menschen fest an einzelne kulturelle Normen und Praktiken, seien sie real oder imaginär. Von hier aus lässt sich ihre Exklusion betreiben, wie es im euphemistisch genannten „Ethnopluralismus“ der extremen Rechten geschieht. Selbst die gutgemeinte Idee der Integration erweist sich im Horizont des Interkulturalismus als Einbahnstraße: Integrieren müssen sich demzufolge nur die, die von außen kommen. Sie sollen sich in die kulturelle Lebenswelt einfügen, in die sie eintreten. Wenn das Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl 2017 das Wort „Integration“ durch „Anpassung“ ersetzt, bringt es unfreiwillig die Einseitigkeit in der gängigen Vorstellung von Integration zum Ausdruck. In der Migrationsgesellschaft, die wir sind, wäre die Forderung, sich zu integrieren – will man an dem Begriff festhalten – die Aufgabe aller, die hier leben, in gleichem Maße.

Das transkulturelle Theater ist ein entscheidendes Medium der Hinwendung zum Fremden. Als „Schauplatz des Fremden4 hat Bernhard Waldenfels das Theater bezeichnet und die Fremdheit des Theaters gleich bei seinen westlichen Anfängen im Theater der antiken Tragödie beginnen lassen. Für die Moderne hat Brecht, der „Einstein der neuen dramatischen Form“5, nicht von ungefähr die Erfahrung des Fremden als eine Hauptaufgabe von Theater benannt. Brechts oft nur verkürzt wahrgenommenes Konzept der Verfremdung versteht Fremdheitserfahrung als ein Fremdwerden der Erfahrung selbst. „[V]on sich selber entfernen“6 und sich fremd werden sollen sich nach Brecht die Zuschauer_in­nen ebenso wie die Akteur_innen: „[Der Artist betrachtet] sich selbst und seine Darbietungen mit Fremdheit […]“7. Theater, folgen wir Waldenfels und Brecht, ist sich selbst fremd, es ist prinzipiell „außer sich“.8 Das macht es zu einem bevorzugten Ort der Verständigung unter Fremden und Medium transkultureller Kommunikation.

Ein transkulturelles Theater geht nicht von abgeschlossenen, distinkten Kulturen aus, die es miteinander in Kontakt zu bringen sucht, sondern setzt an der Fremdheitserfahrung im Inneren der vermeintlich eigenen, der sogenannten Nationalkultur an. Denn Nationalkulturen sind allesamt Phantasmen, Wunsch- und Trugbilder der Reinheit, des Eigenen und des Wesenhaften. In der Realität aber nie rein, sondern durchsetzt vom Unreinen, andern Völkern und Ethnien, Sitten und Gebräuchen, kulturellen Einflüssen, Transformationen usf. Durchsetzt also von Fremdkörpern, die ausgeschlossen werden müssen, weil sich erst im Ausschluss des Fremden das Phantasma einer eigenen Kultur gründen lässt. Eben um das Durchsetzte aber geht es im Theater des Fremden. Das hindurchgehende Fremde im vermeintlich Eigenen der Kultur, dieses Trans, das das sicher geglaubte Eigene durchquert und öffnet, ist der Beweggrund des transkulturellen Theaters.

Das transkulturelle Theater sucht also das Fremde nicht in weiten Fernen, sondern zuallererst innerhalb des vermeintlich Eigenen und Nahen, das es in ein unvertrautes Licht rückt. Erst wenn die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden in Frage gestellt ist und das Eigene selbst fremd geworden ist, wird ein freier Umgang mit Fremdheit, der eigenen wie der des Anderen, möglich. Dieser Umgang zielt auf einen „versöhnten Zustand“, den Adorno, in Anlehnung an Eichendorffs gleichnamiges Gedicht, als „schöne Fremde“ bezeichnet hat. Er „annektierte nicht mit philosophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, dass es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen.“9 Als Raum eines Fernen und Verschiedenen, so nah es auch sein mag, begreift Adorno den versöhnten Zustand zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Es ist der Erfahrungsraum des transkulturellen Theaters, ein Zwischenraum, ein Transitraum zwischen Eigenem und Fremdem.

Weil aber dieser Transitraum ein Erfahrungsraum ist, lässt sich das Fremde nicht repräsentieren, so dass man mit dem Finger darauf deuten kann. Fremd sind nicht die Flüchtlinge, die Migrant_in­nen und Postmigrant_innen. Werden sie als die Fremden angesehen, werden sie zu Exot_in­nen gemacht. Wo auch immer das Theater sich auf die Suche nach dem Fremden macht, entscheidend ist, dass es das Fremde nicht exotisiert. Dass es sich nicht anmaßt, stellvertretend für die anderen zu sprechen und nicht zurückfällt in Dramaturgien der Entgegensetzung, die das obsolete Freund-Feind-Schema politischen Handelns wiederkehren lässt, auch nicht im Kampf für die vermeintlich gute Sache. Das Fremde ist kein Gegenstand, der_ie Fremde kein Subjekt. Das Fremde ist eine Erfahrung, die uns widerfährt. Sie verfremdet unsere Wahrnehmung des Fremden dahingehend, dass uns die eigene Wahrnehmung fremd wird. Fremdheitserfahrung ist die Erfahrung einer Fremdheit im Eigenen. Theater kann, Theater soll diese Erfahrung ermöglichen. Erst von dieser Erfahrung aus wird transkulturelle Kommunikation möglich. Ein Theater der Fremde und der Fremden ist deshalb nicht allein von und für die Fremden von außerhalb, sondern für die Fremden, die wir sind. Es ist ein Theater unter Fremden.

Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater

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