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3. Ein Theater der Geste

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Das Agens des transkulturellen Theaters ist die Geste. Ursprungslos wie das transkulturelle Theater ist, lässt sich seine Potentialität nicht mit den Begriffen der aktiven Handlung und des Handelns fassen. Denn Handeln impliziert die Intentionalität und Finalität eines Tuns im Ganzen einer Handlung, die bereits nach Aristoteles Anfang, Mitte und Schluss hat.1 Die Vorstellung handlungsmächtiger Subjekte, die souverän über ihr Tun verfügen, ist obsolet, vollends in Zeiten der Globalisierung. Gesten aber sind Aktionsformen, die dem transkulturellen Theater gemäß sind. Denn sie entstehen aus Praktiken der Unterbrechung und Teilung, die das Aktionsfeld, die Form der Bewegung, die Raum-Zeit-Dynamik und das Affektpotential des Handelns im transkulturellen Theater gleichermaßen bestimmen. „Gesten erhalten wir umso mehr, je häufiger wir einen Handelnden unterbrechen“2, so lautet Walter Benjamins berühmte Beschreibung der Geste im Epischen Theater Brechts. Von Benjamins und Brechts Konzept der Geste ausgehend soll hier die Unterbrechung zum Ausgangspunkt der Ausführungen zum gestischen Handeln im transkulturellen Theater gemacht werden. Zwei Charakteristika der Geste fallen dabei ins Auge: Die raumzeitliche Migration der Geste und ihre affektive Kraft.

Gesten bewegen sich zwischen Zeiten und Räumen. Auf diese raumzeitliche Dynamik der Geste haben Walter Benjamin und im Anschluss an ihn Samuel Weber aufmerksam gemacht. Gesten zeichnen sich Benjamin zufolge dadurch aus, dass sie sowohl fixiert als auch zitiert werden können. Als fixierbare schneidet die Geste eine singuläre körperliche Bewegung aus dem Kontinuum der Zeit heraus. Als zitierbare unterbricht die fixierte Geste sich selbst. Sie weist damit – so hat Weber es beschrieben – „zugleich rückwärts in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft. Die Fixierbarkeit der Geste wird durch ihre Zitierbarkeit […] aufgebrochen.3 Es ist ein Aufbruch, der sie in fremde Landstriche und Umgebungen entführt. Die Geste ist, mit aller Vorsicht gesprochen, der Migrant par excellence.4 Unterwegs in der Fremde stellen Gesten Kontakt her zwischen Zeiten und Räumen. Herausgebrochen aus dem Handlungszusammenhang, dem sie entstammen, tragen Gesten doch die Überreste und Spuren des Vergangenen an sich, die sie zitierend an- und vorführen. Das heißt aber auch: Gesten lassen sich nicht beliebig de- und rekontextualisieren. Sie sind stets mit Geschichte aufgeladen. Geschichte haftet an ihnen, Geschichte umgibt sie im Aggregatzustand des Nachlebens.5 Geschichte kehrt in Gesten wieder, wiederholt und vervielfältigt sich in Form des Gespenstischen und der unwillkürlichen Erinnerungssplitter. In einem eigentümlichen Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität verbindet die Geste so die eigene, fremd gewordene Vergangenheit mit der ungewissen Zukunft am fremden Ort. Deshalb ist die Geste ein paradigmatisches Medium transkultureller Kommunikation. Gestische Kommunikation ist die von Fremden, die die Bindung an eine kulturelle Tradition und Gemeinschaft aufgegeben haben. Zugleich unterscheiden sie sich aber voneinander durch die unterschiedlichen Spuren der Vergangenheit, die sie gestisch zitieren. Gesten sind aufgegebene Geschichte. Sie sind offen und anschlussfähig für neue Geschichte(n) in der Konstellation mit anderen Räumen und Zeiten. Und: Gestische Kommunikation ist nach Brecht ein Vorgang der Theatralität. Denn die Zitierung des Singulären setzt das Fixierte in Bewegung und versetzt es in einen virtuellen Raum des Sekundären und Uneigentlichen, einen Raum der Wiederholung mit vielerlei Kostümierungen und Maskeraden, einen Zeit-Spiel-Raum.6

Eine besondere affektive Kraft kommt der Geste paradoxerweise durch die Exposition ihrer Unvollkommenheit zu. Damit unterscheidet sie sich radikal von jenem gestischen Zeigen auf soziale Verhältnisse, das sich unterm Diktat des Grundgestus der Szene in den fünfziger Jahren in Brechts Theaterpraxis eingebürgert hat. Die Geste, die perfekt und Bescheid wissend auf etwas zeigt, verbirgt die unvollkommene, sich selbst nicht einsichtige Geste des Zeigenden, der nicht länger souverän über sein Handeln verfügt. Die Geste, die der Unterbrechung entspringt, sieht sich um ihre Intentionalität und ihre Finalität und damit um die Souveränität des Handelns gebracht. Das schreibt ihr die Züge des Unvollendeten und Mangelhaften ein. Scham ist der durchschlagende Affekt, der mit deren Enthüllung einhergeht. In der Scham sieht sich der Beschämte entblößt den Blicken der anderen ausgesetzt. Die schamvolle Aussetzung ist das Double jener Aussetzung, die als Unterbrechung bezeichnet wird.7 Scham ist der Affekt der im doppelten Sinn ausgesetzten Geste. Ohne Scham, d.h. ohne schamvolles Bedecken und Verbergen des menschlichen Makels,8 bietet sie sich dem Fremden dar, entblößt und offen für die Berührung.9 In der Geste der Scham transformiert sich das Ent-Setzen der Aussetzung in eine affektive Kraft, uns zu berühren. Die Geste der Scham ist auch die Geste der Berührung des Fremden.10

Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater

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