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Transkulturell im Sinne einer Ästhetik der Entähnlichung

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Die Analyse der drei vorgestellten Produktionen fordert ein bestimmtes Verständnis von Transkulturalität ein. Sicherlich erschaffen sie im Zusammenspiel vielfältiger kultureller Traditionen allesamt etwas Neues, doch deuten sie nachdrücklich darauf hin, dass sich das gemeinsame Neue in einer Verschiedenheit konstituiert. Die unterschiedlichen Formen der Darstellung, Sprachen und Referenzrahmen zollen der Absicht der Künstler_in­nen Tribut, die Vielfalt darzustellen und diese eben nicht in einer Gleichheit, einer singulären Wirkung oder einem einzigen theatralen Code aufzuheben oder zu verwischen.

Der Politikwissenschaftler Achille Mbembe sieht in dem oft formulierten Wunsch nach Gleichheit ebenfalls eine große Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben. In seinem Werk Kritik der schwarzen Vernunft (2014) stellt er dieser Praxis das Prinzip der „Entähnlichung“ gegenüber.1 Im Gegensatz zur Assimilation, die Gleichheit einfordert, kann Entähnlichung verstanden werden als „Sorge um das Offene“ vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Verschiedenheit das Gemeinschaftsstiftende unserer Zeit ist:

Die Frage der universellen Gemeinschaft stellt sich daher per definitionem in Begriffen des Im-Offenen-Wohnens, der Sorge um das Offene – was etwas ganz anderes ist als ein Vorgehen, das in erster Linie darauf zielt, sich abzuschließen und eingeschlossen in dem zu bleiben, was gewissermaßen mit uns verwandt, was uns ähnlich ist. Diese Form der Entähnlichung ist das genaue Gegenteil der Differenz.2

Mit dem Begriff der Entähnlichung verabschiedet sich Mbembe noch entschiedener von kolonialen Zeichensystemen westlich-abendländischer Couleur als Derridas Différance und entschwindet gar poststrukturalistischen Denkmodellen, denen sich noch ein großer Teil der postkolonialen Theorie verpflichtet fühlt. Zunächst löst sich die Vorstellung seiner „universellen Gemeinschaft“ in poststrukturalistischer Tradition von tradierten Dichotomien wie Sprache-Schrift, Signifkant-Signifkat, Schwarz-Weiß und deren gemeinschaftsstiftenden Differenzsystemen: „Im-Offenen-Wohnen“ deutet auf ein Zusammensein über die Vorstellung abendländischer Logik hinaus, denn es versucht Traditionen und Vorstellungen anderer Kulturen auch jenseits des Textbegriffes mit einzubeziehen, ohne diese in einem einzigen System aufzuheben, wie es beispielsweise Claude Lévi-Strauss forderte, worauf Christina von Braun bereits in den 1980er Jahren hindeutet.3 Darüberhinaus scheint Mbembes Verständnis von Entähnlichung der Unmöglichkeit im Denken der Différance einen möglichen Raum zu geben, jenseits der Dekonstruktion. Die „Sorge um das Offene“, welche die treibende Kraft der Entähnlichung darstellt, kann im Ästhetischen nicht nur besonders gut betrieben werden. Im Sinne Fischer-Lichtes jüngsten Überlegungen zu „Interweaving Performance Cultures“ vermag Ästhetik zudem einen utopischen, dennoch erfahrbaren Raum zu erschaffen, in welchem Vielfalt kreiert wird, ohne in einem semiotischen Code aufgehoben zu werden noch im poststrukturalistischen Sinne dekonstruiert zu werden.4

Die drei vorgestellten Produktionen betreiben hinsichtlich ihrer ästhetischen Praxis eine Sorge um das Offene und betonen in dieser Heterogenität, dass eine Aufführung, die nach einer spezifischen ästhetischen Tradition oder Form gestrickt ist, in welcher die Zuschauenden ein Gemeinschaftsgefühl im Gleiches-Erleben (oder Ähnliches-Erleben) erfahren, im internationalen Kontext nicht mehr zeitgemäß erscheint. Entähnlichung, als ein Prinzip wie Mbembe es definiert, ist so ein vielversprechendes Motto für richtungweisende ästhetische Verfahren in Zeiten zunehmender kultureller Vielfalt. Denn es geht über die Gepflogenheiten der Transkulturalität, ein eher westliches Ästhetikverständnis zu fördern, in welchem Gleichheit erklärtes Ziel des Gemeinschaftsstiftenden ist, hinaus, indem es die Verschiedenheiten jenseits interkultureller Dichotomien auch im ästhetischen Erfahren betont.

Die mannigfaltigen Formen und Traditionen der drei vorgestellten Theaterproduktionen „entähneln“ sich in ihrer Verschiedenheit. Die Vieldeutigkeit führt jedoch nicht zu einem Nebeneinander, sondern einem Miteinander-Agieren, Aushandeln, aber auch Differenzen-Zeigen und -Leben. Sie fordern so ein transkulturelles Konzept, das Ästhetik der Entähnlichung genannt werden kann, welches das Gemeinschaftsstiftende, wenn, dann nur in der Vielfalt und Verschiedenheit der dargestellten Formen findet und nicht suggeriert, dass sich Zuschauende und Darstellende in gleichsam erfahrenen, sondern in ganz unterschiedlich wahrgenommenen Wirkungsästhetiken zusammenfinden. Eine solche Konzeption verweigert sich ebenso, Theater unter ein spezifisches Wirkungsziel – wie es Nicholson hinsichtlich des Applied Theatre kritisiert – oder die „Idee“ einer einzigen homogenen Kultur zu stellen, sondern richtet das Augenmerk auf unterschiedliche ästhetische und damit auch gesellschaftliche Haltungen. Dieses neue Band hat schon Hegel am Ende seiner Vorlesungen über die Ästhetik angefangen zu knüpfen, auch wenn er sich dieses transkulturellen Potentials höchstwahrscheinlich nicht bewusst war.

Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater

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