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2. Ein Theater der Wiederholung

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Von zentraler Bedeutung für die Praxis des transkulturellen Theaters ist der Umgang mit Geschichte. Denn auf Geschichte berufen sich die Propagandist_in­nen von Fundamentalismus und Restauration in ihrem Kampf gegen die Globalisierung zuallererst. Ursprung, Kontinuität, Dauer. Darin besteht die historische Legitimation von allen Bewegungen und Institutionen, die sich der Globalisierung wie der Möglichkeit der Weltwerdung gleichermaßen widersetzen und zurück wollen in eine goldene Zeit, die es nie gegeben hat.1 Geschichte als legitimatorischer Überbau von Fundamentalismus und Restauration steht dem Werden des transkulturellen Theaters im Weg. Zugleich fungieren die sperrigen Geschichtskonstruktionen als Materialdepots transkultureller Theaterpraxis. Die Abbrucharbeiten an ihren Gebäuden erschöpfen sich nicht in der Destruktion. Das transkulturelle Theater ist selbst angewiesen auf das semantische Potential von Geschichte und die Zeitform der Historizität, die es in den Bruchstücken und Überresten der für die Ewigkeit entworfenen Geschichtsgebäude findet. Im Siegeszug der Globalisierung, die alle Regionen und Länder erfasst, stellt Geschichte ein wichtiges Differenzkriterium dar. Es ist gegenwärtig nämlich nicht gegeben, dass das Fremde auch in der „Nähe das Ferne und Verschiedene“2 bleibt, wie es Adorno vorschwebte. Mit der Globalisierung und Digitalisierung der Welt geht eine Universalisierung und Homogenisierung der Lebensweisen einher. Arbeit, Kommunikationsformen und Konsumverhalten gleichen sich allerorten mehr und mehr an. Sie werden am Ende unterschiedslos wie die Shopping Malls, die über Kontinente hinweg von denselben Konzernnamen künden. Gegen die Gleichmacherei der Globalisierung wirkt das Antidot von Geschichte. Es sind unsere Geschichten, die unseres Landes und unserer Region ebenso wie die privaten Lebensgeschichten, die uns voneinander unterscheiden. Geschichte macht die Unterschiede, die transkulturelles Zusammenleben von Fremden braucht. Aus den Bruchstücken und Trümmern der fundamentalistischen Geschichte generiert das transkulturelle Theater Sinn und Differenz im Prozess der Weltwerdung.

Die konkurrierenden Vorstellungen von Geschichte unterscheiden sich im Hinblick auf den ontologischen Status und einen Ursprung, den sie Geschichte beimessen oder verweigern. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Konstruktion kultureller Eigenheit. Wird Geschichte ontologische Existenz zugesprochen und sie in einem Ursprung verankert, lässt sich daraus das So-und-nicht-anders kultureller Eigenheit ableiten. Das Konzept einer Ursprungsgeschichte manifestiert sich in der Konstruktion von Nationalkulturen. Es artikuliert sich in kulturellen Praktiken, die den Status quo abgeschlossener Kulturen beschwören und deren Öffnung nach Innen und Außen verhindern. Transkulturelle Theaterpraxis kann diese Vorstellung und Praxis von Geschichte nicht als obsolet beiseite stellen, sondern muss ansetzen an ihnen, um sie abzuarbeiten, auszuhöhlen und aus ihren Bruchstücken das Potential für eine Geschichte zu gewinnen, die die Grenzen jeder vermeintlich eigenen Kultur überschreitet.

Entscheidend für die Stellung zur Geschichte im transkulturellen Theater ist die Figur der Wiederholung. Um zum Fremden zu gelangen, muss die Geschichte wiederholt werden, die das Phantasma des Eigenen hervorgebracht hat. Kollektive Phantasmen basieren auf Ursprungsmythen, Geschichtskonstruktionen, Traditionen und Erinnerungsritualen, die Geschichte ontologisch verankern und stillstellen. Die theatrale Praxis der Wiederholung zerstört die behauptete kulturelle Einheit und Ganzheit und rettet die Überreste der Geschichte, indem sie sie in andere Zeiten und Räume versetzt und damit transkulturell anschlussfähig macht. Der Wiederholung geht es darum, das im Fortschritt der Globalisierung Ausgeschiedene und Zurückgelassene, das Singuläre und Materielle, das sich der nivellierenden Universalisierung widersetzt, wiederzuholen und einzubringen in das Theater der Weltwerdung. Destruktion und Rettung sind daher die beiden Aufgaben der Wiederholung. In ihrem Zusammenspiel machen sie die Wiederholung zu einer Bewegung der Überschreitung.

Geschichte im Theater der Wiederholung versteht sich nicht länger als Ursprungserzählung und unbefragte Tradition einer Nation sondern als Genealogie im Sinne Foucaults. „Die Genealogie“, so Foucault,

geht nicht in die Vergangenheit zurück, um eine große Kontinuität jenseits der Zerstreuung des Vergessenen zu errichten. Sie soll nicht zeigen, dass die Vergangenheit noch da ist, daß sie in der Gegenwart noch lebt und sie insgeheim belebt […] [V]ielmehr [will sie] das festhalten, was sich in ihrer Zerstreuung ereignet hat: die Zwischenfälle, die winzigen Abweichungen oder auch die totalen Umschwünge, die Irrtümer, […] die das entstehen ließen, was existiert und für uns Wert hat. […] Die genealogisch aufgefasste Historie will nicht die Wurzeln unserer Identität wiederfinden, vielmehr möchte sie in alle Winde zerstreuen; sie will nicht den heimatlichen Herd ausfindig machen, von dem wir kommen, jenes erste Vaterland, in das wir den Versprechungen der Metaphysiker zufolge zurückkehren werden; vielmehr möchte sie alle Diskontinuitäten sichtbar machen, die uns durchkreuzen.3

In der genealogischen Geschichtsschreibung ist Geschichte dem Ursprung entsprungen und der Tradition entrissen: Sie ist diskontinuierlich, kontingent und singulär. Und sie zeigt sich als Theater. Der Historiker muss, mit Foucault gesprochen, die „Wiederkunft ehemaliger Ereignisse erfassen, […] und die verschiedenen Szenen wieder[…]finden, auf welchen die Ereignisse verschiedene Rollen gespielt haben“4 und spielen. Hier zeichnet sich über die metaphorische Verwendung hinausgehend die Idee eines Theaters der Geschichte ab. Sie knüpft an die Vorstellung vom Schauspiel der Geschichte an, die sich mit der Französischen Revolution verbreitet, an die Ausstellung der Römerposen und -kostüme in Büchners Drama Dantons Tod,5 an Marx’ Analyse des Theaters der Revolution als tragische und farcehafte Wiederholung von Geschichte, und an Nietzsches Totalisierung der Theatermetapher der Geschichte.6 Nicht zuletzt bezieht sie sich auf Kierkegaard und seine Prognose, dass das Phänomen der Wiederholung künftig „eine sehr wichtige Rolle in der neueren Philosophie spielen“7 wird und auf Gilles Deleuzes Analyse des wechselseitigen Bedingungszusammenhangs von Geschichte, Wiederholung und Theatralität. Geschichte kann demnach als Theater der Wiederholung verstanden werden, die theatrale Aktion ist ein Akt der Wiederholung, die Wiederholung ist ein Vorgang der Theatralität. Das Theater der Wiederholung meint nicht die theatrale Darstellung von Akten der Wiederholung, die dem Theater vorausgehen, sondern dass die Wiederholung selbst ein theatraler Akt ist. Das ermöglicht ihr, die Macht der Gespenster von Fundamentalismus, nationaler Kultur, Ursprungsgeschichte und Restauration zu brechen und sie ins Spiel zu bringen.

Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater

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