Читать книгу Große Predigten - Группа авторов - Страница 15

|28|2. Die Zweite Theologische Rede

Оглавление

Gregors „Reden“ zählen zu den erfolgreichsten Texten der spätantiken Welt. Nicht allein stilistisch, sondern auch inhaltlich gelten sie über viele Jahrhunderte hinweg als normativ. Ihren Verfasser bezeichnet man noch heute in der Orthodoxen Kirche schlicht als „den Theologen“. Die hier in Auszügen vorgestellte zweite Rede hat Gregor Herbst 380 in Konstantinopel vorgetragen. Mit den übrigen vier Reden steht er im unmittelbaren Vorfeld des zweiten ökumenischen Konzils zu Konstantinopel, auf dessen Entscheidung sie entscheidenden Einfluss genommen haben.

Wie jeder gute Rhetor wächst Gregor an seinem Gegner. Bischof Eunomius von Kyzikos (335–395) wiederholt nicht allein die alten Argumente des Arius (†336), die bereits auf dem ersten ökumenischen Konzil von Nizäa verworfen worden waren, sondern legt einen neuen, rationalistischen Versuch vor, von Gott zu sprechen. Eunomius traut der menschlichen Vernunft zu, Aussagen über das Wesen Gottes machen zu können. Gegen Eunomius betont Gregor die Grenzen der menschlichen Vernunft, oder, wie eine alte syrische Handschrift den Inhalt der zweiten Rede wiedergibt: „Die […] Rede wurde von ihm in Konstantinopel gehalten, um zu zeigen, dass Gott nur von seinen Geschöpfen her und nicht von dem aus, was er ist, erreicht werden kann“. Nach Gregors Ansicht ist es also allein möglich, zu erkennen, dass Gott existiert. Das Wesen Gottes bleibt der menschlichen Erkenntnis dagegen verschlossen. Mit seinen theologischen Reden wird Gregor von Nazianz gemeinsam mit Basilios’ Bruder Gregor von Nyssa zu einem Begründer einer neuen Weise des Sprechens von Gott, der sogenannten „apophatischen“ (d.h. verneinenden) Theologie. Diese Theologie übt sich in Selbstbeschränkung. Sie will allein sagen, was Gott nicht ist. Sein Wesen bleibt „Geheimnis“ und damit unbestimmbar.

Eine solche Positionierung eröffnet Gregor der Theologie neue Möglichkeiten. So ist beispielsweise die Sprache der christlichen Mystik ohne Gregors gedankliche Vorarbeit nicht vorstellbar. Freilich beenden Gregors fulminante Reden auch die Tradition der antiken Debattenkultur, denn Gregors „apophatischer“ Ansatz enthebt ja Gott, als den Gegenstand der theologischen Debatten, seiner Bestimmbarkeit. In diesem doppelten Erbe liegt die geistesgeschichtliche Bedeutung der Theologischen Reden Gregors.

Gregors Rede fließt im breiten „asianischen“ Stil der zeitgenössischen Rhetorik dahin und lässt sich mit ihren langen Satzperioden nicht ohne ästhetische Einbuße ins Deutsche übertragen.

|29|Der Gedankengang der zweiten Rede ist folgendermaßen gegliedert:

Im ersten Abschnitt (1) wird die vorausgegangene erste Theologische Rede kurz in Erinnerung gerufen. Anschließend reißt Gregor kurz die neue Fragestellung an, wie man von Gott sprechen solle. Gregor entfaltet nun (2–3) die Frage nach der Rede von Gott mit einem Hinweis auf die biblische Erfahrung der Unbegreiflichkeit Gottes: Ganz in der Tradition des jüdischen Philosophen Philo von Alexandria (1. Jh. n.Chr.) und in ähnlicher Weise wie sein kappadokischer Bischofskollege Gregor von Nyssa (†398) deutet Gregor den Aufstieg des Mose auf den Berg Sinai (2. Mose 19) als ein Bild für den Aufstieg der gläubigen Seele zu Gott. Im folgenden Abschnitt (4) stellt der Redner eine These auf: Gottes Existenz ist erfassbar, sein Wesen bleibt aber unbegreiflich. Um die These zu belegen beschreibt Gregor zunächst den Weg der möglichen Erkenntnis Gottes und legt die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Vernunft dar (5–7). Die nun folgenden Abschnitte (8–13), die hier ausgelassen sind, untermauern, dass die Möglichkeiten der menschlichen Sprache und die Konzepte der menschlichen Gedanken das Wesen Gottes nur unzureichend beschreiben.

Im Mittelteil seiner Rede nimmt Gregor die Verehrung der Geschöpfe anstelle des Schöpfers ins Visier und weist auf die „natürliche Gotteserkenntnis“, die die Schöpfung zum Ausgangspunkt für die Erhebung zum Schöpfer nimmt, ohne beide miteinander zu verwechseln, als die einzig richtige Zugangsweise zu Gott (13–16). Zahlreiche biblische Belege, die wir hier nicht übersetzen, stützen dieses Argument (17–21). Dann zeigt Gregor die Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens am Beispiel des Menschen selbst und der übrigen Schöpfung auf (22–31). Dabei erhebt sich die Rede von der Erde bis zum Himmel und schließt mit einem Blick auf die Natur der „körperlosen Wesen“, also der Engel (31), ab.

In einer Epoche, die keine Trennung von Philosophie und Theologie kannte, bediente sich Gregor sowohl biblischer wie philosophischer „Argumente“. Auch wenn nicht in jedem Fall zu klären ist, ob Gregor unmittelbar antike philosophische Traditionen rezipierte, oder ob ihm diese durch andere mündliche und schriftliche Quellen vermittelt wurden, so erweist sich Gregor in der zweiten Rede doch zweifellos als Kenner Platons, etwa durch das dem berühmten „Höhlengleichnis“ entnommene Bild vom Licht (in Abschnitt 3), das nur in seiner Spiegelung im Wasser für die schwache Sehfähigkeit des Menschen erfassbar ist (s. Plato, Staat, VII, 514a–517a). Ebenfalls den Schriften Platons entstammt das in Abschnitt 5 leicht abgewandelte Bild vom Gitarrenspieler und der Gitarre (Phaidon 73d), und auch |30|die Redewendung von der „Zweiten Fahrt“ in Abschnitt 13, mit der Gregor einen Neuansatz der philosophischen Reflexion einleitet, ist platonisch (Phaidon 99d).

Gregor geht aber noch über solche Anleihen hinaus und versucht in Abschnitt 28 seiner Rede eine echte Synthese antiker Philosophie und christlicher Theologie. Hier postuliert er mit Sokrates, dass die eigentliche Einsicht der philosophischen Spekulation die Erkenntnis des eigenen Unwissens sei (Platon, Apologie 22c–d) – ein Gedanke, den tausend Jahre nach Gregor der spätmittelalterliche Philosoph Nikolaus Cusanus in seinem Buch von der „wissenden Unwissenheit“ erneut verwenden wird.

Gregors Ausführungen zur „natürlichen Theologie“ (Abschnitt 5ff.) und zur Verehrung der Geschöpfe anstelle des Schöpfers folgen der Bibel. Ganz ähnlich argumentiert nämlich der Apostel Paulus im Brief an die Römer (Römer 1,19ff.). Der christliche Rhetor ergänzt die Gedanken des Apostels hier nur durch mancherlei Motive aus der kirchlichen Apologetik.

Große Predigten

Подняться наверх