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III. Das Desiderat der Rechtsvergleichung
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Rechtsvergleichung als methodischer Hebel
Bereits in den 1960er Jahren ist die Rechtsvergleichung ein anspruchsvolles Instrument, auf das Erwartungen im Hinblick auf das neue Gemeinschaftsrecht und die Rechtsvereinheitlichung gerichtet werden. Die Mitgliedstaaten hatten etwas Gemeinsames geschaffen, für dessen Rechtsfragen es nahe lag, gemeinsame Antworten aus dem Vorhandenen zu entwickeln, wie einstmals das gemeine deutsche Staatsrecht im 19. Jahrhundert.[166] Zunächst begrenzten sich diese Erwartungen darauf, rechtsvergleichend europäisches Eigenverwaltungsrecht zu schaffen, wofür in den Gemeinschaftsverträgen sogar normative Ansätze vorhanden sind.[167] Diese Bezugnahmen auf die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, die im Wege der wertenden Rechtsvergleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu ermitteln seien, wurden (und werden) als Ermächtigung zur Rechtsfortbildung verstanden.[168] Das öffentliche Dienstrecht der Gemeinschaften entsteht durch vergleichende Anleihen beim deutschen und französischen Beamtenrecht. Ein internationaler Kongress des Heidelberger Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht schuf die rechtstatsächliche Grundlage für das Haftungsrecht der Gemeinschaften.[169] Die Gemeinschaftsgrundrechte sollen sich aus einem „wertenden Rechtsvergleich“ der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben.[170] Doch mit der Zeit wird deutlich, dass es bei den rechtsvergleichenden Bemühungen auch darum geht, dass ein einheitliches europäisches Verwaltungsrecht entsteht, nach dessen Maßgabe das Gemeinschaftsrecht vollzogen wird.[171] Diese, das Verhältnis von deutschem und europäischem Recht betreffende Frage bezeichnete Otto Bachof als „Merkposten“. Für Bachof war das Recht der Gemeinschaften „im wesentlichen Verwaltungsrecht, vornehmlich Wirtschaftsverwaltungsrecht“, in dem „Rechtsgedanken der französischen, der deutschen, der italienischen und etlicher weiterer Rechtsordnungen“ zusammenfließen und das „seinerseits in diese nationalen Rechtsordnungen „ausstrahlt“. Man könne sich kaum vorstellen, dass auf lange Sicht eine deutsche, eine französische, eine italienische und überdies noch eine gemeineuropäische Dogmatik des Verwaltungsgeschehens unvermittelt nebeneinander bestünden. [172] Die Äußerung spielt auf die Unterschiede bei den „gewachsene[n], historisch gewordene[n] Staatsindividualitäten“[173] oder der Rechtskulturen an, die eine Vergleichung im öffentlichen Recht, im Vergleich zum Zivilrecht, erschwert.[174] Es zeichnet sich eine Konfliktlinie ab, in welcher Art und Weise europäisches Verwaltungsrecht entsteht und wie es mit Besonderheiten des nationalen Verwaltungsrechts umgeht.[175] Zugleich bietet sich gerade die Rechtsvergleichung auch als methodischer Hebel an, wissenschaftliche Geschlossenheit und empfundene „Verkrustungen“ zu überwinden.[176]
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Aufruf der Bachof‘schen „Merkposten“
Seit den frühen 1980er Jahren ist eine neue rechtsvergleichende Strömung entstanden, in der mit dem Gemeinschaftsrecht vorbefasste Autoren zu systematisieren versuchen, wie die Regeln für den Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht entstanden sind und wie diese auf die nationalen Rechtsordnungen zurückwirken. Diese Strömung ist vor allem mit Jürgen Schwarze verbunden,[177] der 1982 einen Sammelband mit dem Titel „Europäisches Verwaltungsrecht im Werden“ herausgab,[178] den Peter Häberle knapp zehn Jahre später als frühe, pionierhafte Leistung würdigte, die den Durchbruch für die Disziplin des europäischen Verwaltungsrechts geschaffen habe.[179] Im Einleitungsteil des Sammelbandes stellt Schwarze unter Hinweis auf seine Habilitationsschrift heraus, dass die überwiegende Zahl der Anfang der 1980er Jahre im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze für das Verwaltungshandeln vom EuGH im Wege rechtsschöpferischer Entscheidungsfindung unter Rückgriff auf mitgliedstaatliches Recht entwickelt wurden.[180] Schwarze betont die Notwendigkeit, zwei Ebenen auseinanderzuhalten: einmal die richterrechtliche Bildung gemeinschaftsrechtlicher Verwaltungsgrundsätze auf Gemeinschaftsrechtsebene, auf der anderen Seite ihre Rückausstrahlung in das nationale Verwaltungsrecht – Otto Bachofs „Merkposten“[181] werden zustimmend zitiert.[182] Exemplarisch für die veränderte Tonlage und Diskussionstiefe in dieser Frage ist der in Schwarzes Sammelband enthaltene Beitrag von Meinhard Hilf, Rechtsberater der Kommission und später Professor in Bielefeld und Hamburg, der über „Möglichkeiten und Grenzen des Rückgriffs auf nationale verwaltungsrechtliche Regeln bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht“ berichtet.[183]