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II. Länder und Reichsreform

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Föderalismus ohne Fürsten

Art. 18 WRV machte Vorgaben für eine Länderneugliederung. Die RV hatte die Bundesstaaten des Jahres 1871 selbst bei Aussterben der regierenden Familie petrifiziert.[153] Unmittelbar nach Inkrafttreten der WRV war eine „Zentralstelle zur Gliederung des Deutschen Reichs“ beim Reichsministerium gegründet worden. Unitarisierend war Art. 17 WRV, der allen Ländern eine „freistaatliche Verfassung“ vorschrieb; im bedeutungslosen Waldeck trat allerdings die alte Verfassung formal nie außer Kraft.

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Thüringen

Am 1. Mai 1920 war das Land Thüringen aus sieben thüringischen Kleinstaaten gebildet worden, der achte, Coburg, hatte sich zum 1. Juli 1920 dem Freistaat Bayern angeschlossen. Dies hatte auch eine Umgestaltung der Verwaltung zur Folge, die als nicht abgeschlossen galt; der preußische Regierungsbezirk Erfurt zerteilte bis zur bayerischen Grenze Thüringen, das wegen seiner Talsperren auf bayerische Gebiete an der Saale spekulierte.[154] Der „Staat Großthüringen“ habe sich immer wieder als „Gegenstand banger Sorge“ erwiesen, so Heinrich Triepel auf der Staatsrechtslehrertagung 1924 in Jena und wünschte „die Bahn zu ruhiger staatlicher Entwicklung und den Weg zu sozialem Frieden.“[155] 1923 hatte die Regierungsbeteiligung der KPD zu einem militärischen Einschreiten der Reichsregierung (Art. 48 WRV) geführt, seit 1930 war die NSDAP an der Regierung beteiligt.

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Waldeck

Am 30. November 1921 hatte sich der Bezirk Pyrmont, der kleinere Landesteil von Waldeck, durch Volksentscheid Preußen angeschlossen. Am 1. April 1929 war das verbliebene Waldeck zu Preußen gekommen. Es bestand ein enger Zusammenhang mit der desolaten Haushaltslage des Kleinstaats nach der Finanzreform 1926.[156] Waldeck blieb ein untypischer Einzelfall, das Fürstentum hatte sich schon 1867 durch den „Accesionsvertrag“ der preußischen Verwaltung angeschlossen, die landeseigene Verwaltung beschränkte sich auf „Hofbehörden“ und die evangelische Landeskirche.[157] Robert Graf Hue de Grais wies vor dem Krieg in seinem „Handbuch der Verfassung und Verwaltung“ ausdrücklich darauf hin, dass Waldeck „nicht zum preußischen Staate“ gehört.[158]

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Reichsreform

Insbesondere der preußische Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff hatte sich vehement für eine Neugliederung des Reichs und eine Verknüpfung der Finanz-, Verwaltungs- und Reichsreform eingesetzt.[159] Aus ähnlichen Beweggründen wurde 1928 auf Betreiben des ehemaligen Reichskanzlers und späteren Reichsbankpräsidenten Hans Luther der „Bund zur Erneuerung des Reiches“ („Luther-Bund“) gegründet, der auch konkrete Vorgaben zur Verwaltungsreform gemacht hatte. Der Name „Preußen“ und das preußische Staatsvermögen sollten erhalten bleiben, staats- und verwaltungsrechtliche Befugnisse auf die Provinzen als „Reichsländer“ übergehen. Die Länderkonferenz zur Reichsreform folgte Luther, der aber am Widerstand Preußens und Bayerns scheiterte.[160]

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Kleinstaatliche Resilienz

Zur Länderneugliederung war es nicht gekommen.[161] Der kleinste Gliedstaat Schaumburg-Lippe führte ab 1924 ergebnislos Verhandlungen mit Preußen. Insgesamt war das Beharrungsvermögen auch kleinster Einzelstaaten wie Lippe stärker als 1919 zu erwarten. Allerdings darf die „Kleinstaaterei“ insoweit nicht überschätzt werden, als es bereits im Kaiserreich eine funktionierende Zusammenarbeit in Verwaltung und Justiz über Ländergrenzen gegeben hatte.[162] Die gemeinsame Trägerschaft von „Unterhalterstaaten“ für die Universität Jena zeigt, dass Spielraum für eine auch im internationalen Maßstab effiziente Zusammenarbeit über kleinstaatliche Grenzen bestand. Die allerwenigsten Staaten hatten alle Attribute der Staatlichkeit besessen. Sie ließen sich auch in der Republik im ohnehin weniger körperschaftlich gestalteten Reichsrat von anderen Ländern vertreten und übernahmen häufig preußische Gesetze als Blankett.

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Preußische Frage

Das „Exklavenproblem“ war für den mitteldeutschen Raum eine echte Belastung, da die allein dynastischen Zufälligkeiten geschuldeten Grenzen eine vernünftige Landesentwicklung behinderten. Die Reform wurde vom Oberpräsidenten der preußischen Provinz Sachsen Eduard Hübener[163] vorangetrieben; ein Gutachten verfasste der Hallenser Staatsrechtler Max Fleischmann.[164] Dabei erwies sich als Problem, dass Preußen und Thüringen zum Teil entgegengesetzte Interessen vertraten. Im mitteldeutschen Raum bestand dabei eine eingespielte Zusammenarbeit der Verwaltung über Ländergrenzen hinweg. Die „Reichsreform“ und eine Auflösung des Dualismus „Preußen-Reich“ besaßen während der gesamten Weimarer Republik nahezu ununterbrochene Präsenz.[165] Größtes Hindernis war die Funktionalität der zur Republik loyalen preußischen Verwaltung. Der sächsische Staatskanzleichef Alfred Schulze, ein liberaler Republikaner und Demokrat, betonte 1927: „Das einige Preußen mit seiner Größe ist eine starke Stütze für das ganze Reichsgefüge, die jedenfalls solange nicht entbehrt werden möchte, als die neuen Stützen der Reichseinheit wie die einheitliche Wehrmacht, die einheitliche Verkehrsverfassung und das einheitliche Finanzsystem noch nicht auf ihre Tragfähigkeit erprobt sind.“[166] In einem eigenartigen ahistorischen Rekurs auf Martin Luther formulierte 1929 der linksliberale Staatsrechtslehrer Fritz Stier-Somlo: „Das selbstständige und ungeteilte, das in seiner Staatseigenschaft durch die Reichsverfassung ohnedies schon stark versehrte Preußen, – Ihr sollt es lassen stahn!“[167] Die Notwendigkeit der Verwaltungsreform wurde dabei auch von Konservativen vorbehaltlos geteilt: „jeder einzelne von Ihnen muss so ein Kämpfer für eine wirklich durchgreifende Verfassungs- und Verwaltungsreform sein, wenn es mit unserem deutschen Vaterlande wieder gehen soll, wie es – bei Gefahr unserer nationalen Existenz – nach dem Niederbruch gehen muss: Vorwärts und aufwärts!“ erklärte 1929 der letzte Innenminister des Königreichs Preußens, Bill Drews.[168]

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Missbräuchliche Verwaltung

Eine verhängnisvolle, allerdings zu keinem Zeitpunkt intendierte Folge der unterlassenen Länderneugliederung war, dass frühe Erfolge der NSDAP in Kleinstaaten wie Schaumburg-Lippe (26,9 %, 1931) oder Braunschweig (22,9 %, 1930) reichsweite Aufmerksamkeit erhielten.[169] Auch die Einbürgerung des staatenlosen Adolf Hitler durch eine rechtsmissbräuchliche Beamtenernennung zum Landesbeamten, also zum Angehörigen einer Landesverwaltung, war im „kleinstaatlichen“ Kontext erfolgt. Nachdem 1930 Ernennungen zum Polizeikommissar in Thüringen[170] und zum Professor in Braunschweig scheiterten, wurde Hitler 1932 zum braunschweigischen Regierungsrat ernannt;[171] er nahm unmittelbar nach Ernennung Urlaub und hatte offen als einziges Motiv den Erwerb der „Reichsangehörigkeit“ benannt. Auch nach damaligem Recht hätte Hitler nicht ernannt werden dürfen.[172]

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