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A. Die Machteroberung der Nationalsozialisten

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Anschein von Kontinuität

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 dürfte von der Mehrzahl der Beamtinnen und Beamten im Deutschen Reich zunächst weit weniger als Einschnitt wahrgenommen worden sein, als das Ereignis uns heute im Rückblick erscheint. Die Zeichen schienen in den ersten Tagen und Wochen auf Kontinuität zu stehen. Zu einem allmählichen Bedeutungszuwachs der Ministerialbürokratie war es bereits – aufgrund des Zurücktretens des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren – in den vergangenen drei Jahren seit dem ersten Präsidialkabinett unter Reichskanzler Heinrich Brüning gekommen. Zudem waren zahlreiche republikanisch eingestellte, leitende Beamte bereits vor 1933 durch nationalkonservative Kollegen ausgewechselt worden. Ein deutliches Zeichen in Richtung einer autoritären Regierungsform setzte die Reichsregierung unter Reichskanzler Franz von Papen nicht zuletzt im Juli 1932 mit dem verfassungswidrigen „Preußenschlag“. Ein von der Politik vorgezeichneter Rechtsruck war also unübersehbar.[1] Dass die Nationalsozialisten aber tatsächlich mit der Tradition der öffentlichen Verwaltung und der Beamten auf einschneidende Weise zu brechen gedachten, zeigten sie spätestens mit dem sogenannten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Missliebige, republiktreue Beamte waren aus dem Dienst zu entlassen und Beamte „nicht arischer Abstammung“ in den Ruhestand zu versetzen.[2] Damit wurde offenbar, in welchem Ausmaß die nationalsozialistische Beamtenpolitik tatsächlich mit den Idealen der deutschen öffentlichen Verwaltung brechen wollte. Ordnungssinn, strenge Rechts- und Gesetzesbindung, Überparteilichkeit sowie Staatsorientierung der Verwaltung sollten ausgehöhlt und durch eine dezidiert nationalsozialistische Grundhaltung ersetzt werden. Nicht mehr die Rechte des Individuums, sondern die Interessen des deutschen Volkes und der arischen Rasse galt es bei der Güterabwägung in den Vordergrund zu stellen.

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Zustimmung der Beamtenschaft

Die nationalsozialistische Machteroberung stieß bei weiten Teilen der Beamtenschaft auf begeisterte Zustimmung. Die ersten Aufnahmen in die NSDAP erfolgten bereits bis zum Mai 1933. Zu einer regelrechten Beitrittswelle der Beamtenschaft kam es nach der Beendigung des Aufnahmestopps im Jahre 1937. Wer nicht direkt der Partei beitrat, suchte wenigstens durch die Mitgliedschaft in anderen Parteiorganisationen, etwa der SA oder der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, seine Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus nach außen zu bekunden. Diese Popularität beruhte neben dem Anschein von Kontinuität vor allem auf der Hoffnung, die Nationalsozialisten würden den alten privilegierten Status, den die Beamten durch die Politik der Weimarer Republik infrage gestellt sahen, wiederherstellen und zusätzliche Beamtenstellen schaffen.[3] Außerdem bestand anfangs die Hoffnung, dass Gesetzesvorhaben aus der Weimarer Zeit, die damals an zahlreichen Widerständen gescheitert waren, darunter etwa eine groß angelegte Reichsreform,[4] nun endlich unter autoritären Vorzeichen realisiert werden könnten. Ein unter leitenden Beamten besonders verbreiteter, radikaler Nationalismus und antipluralistische Einheitssehnsüchte taten ein Übriges. Die zentralen verfassungsrechtlichen Weichenstellungen der nationalsozialistischen Revolution, darunter das Ermächtigungsgesetz vom März 1933,[5] das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom Juli 1933[6] oder das Reichsneuaufbaugesetz vom Januar 1934,[7] mit dem die Gleichschaltung der Länder und damit die Zentralisierung der Verwaltungsapparates weitgehend abgeschlossen wurden, fanden unter den Beamten somit breite Zustimmung.

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Politisierung der Verwaltung

Sieht man einmal von der systematischen Verdrängung von Juden und Sozialisten sowie – wenngleich weniger radikal – von Frauen aus dem öffentlichen Dienst ab, ist die Verwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus insgesamt von einer erstaunlichen personellen Kontinuität gegenüber der Weimarer Republik geprägt. Nur Schlüsselpositionen wurden mit Quereinsteigern besetzt, die häufig schon vor 1933 der NSDAP beigetreten waren; und selbst das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums führte – mit Ausnahme Preußens – nur zu vergleichsweise wenig politisch oder rassistisch motivierten Personalwechseln.[8] Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ideale traditioneller Verwaltung ab 1933 tatsächlich konsequent infrage gestellt wurden, indem eine weit reichende Politisierung der Verwaltung im Sinne des Nationalsozialismus erfolgte.[9] Beamte galten nach § 1 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes von 1937 als „Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates“ und hatten schon seit dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg dem „Führer“ Treue und Gehorsam zu schwören.[10] Bei jeder Ernennung und Beförderung wurden nunmehr die Mitgliedschaft in politischen Parteien der Weimarer Republik, in NS-Organisationen sowie die arische Abstammung des Vorgeschlagenen und seiner Ehefrau überprüft. Außerdem wurde im Ernennungsbogen explizit abgefragt, ob der Beamte die Gewähr bietet, „dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt“.[11] Nicht zuletzt musste von 1935 an bei der Ernennung und Beförderung sämtlicher höherer Beamter der „Stellvertreter des Führers“ als Parteiinstanz beteiligt werden. Auch Laufbahnbeamte, die aufgrund ihrer Abstammung oder politischen Einstellung als unverdächtig galten, mussten erkennen, dass vom Fortbestand wohlerworbener Beamtenrechte keine Rede mehr sein konnte, da stets die Möglichkeit bestand, dass gesetzestreues Verhalten, das aber nicht den Vorstellungen der Partei entsprach, unmittelbare disziplinar- oder sogar strafrechtliche Folgen nach sich zog. Dies schuf eine Rechtsunsicherheit, die konformes Verhalten als notwendig erscheinen ließ, um die politische Karriere fortzusetzen. Somit agierte die nationalsozialistische Führung im Vergleich mit anderen politischen Systemen in Deutschland äußerst effektiv und erfolgreich, um sich die Loyalität der Beamtenschaft langfristig zu sichern.[12]

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