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V. Fünf Rechtswege (Art. 95 Abs. 1 GG) und ein Verwaltungsrecht?
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Sechs verfassungsrechtlich vorgegebene Rechtsgebiete
Nach Art. 96 Abs. 1 der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes waren für „das Gebiet der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit […] obere Bundesgerichte zu errichten“. Durch das 16. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18.6.1968[140] ist diese Regelung in Art. 95 Abs. 1 GG überführt worden, der ebenfalls die Existenz von „Gebieten der ordentlichen, der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit“ voraussetzt und eine Verpflichtung des Bundes begründet, für diese Gebiete fünf „oberste Gerichtshöfe“ zu errichten, die nunmehr namentlich bezeichnet werden. Da die Zivil- und Strafrechtspflege in der ordentlichen Gerichtsbarkeit nur organisatorisch verklammert ist (wie nicht zuletzt § 13 GVG verdeutlicht), setzt(e) damit Art. 95 Abs. 1 GG (bzw. Art. 96 Abs. 1 GG a. F.) eine materielle Unterscheidung zwischen sechs abgrenzbaren Sachgebieten (Zivilrecht, Strafrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht, sonstiges Verwaltungsrecht) voraus, die den dort vorgesehenen Gerichtszweigen im Grundsatz zugeordnet sind.[141] Auch wenn ebenfalls anerkannt ist, dass sich diese Sachgebiete nicht zwingend mit den Rechtswegzuständigkeiten decken müssen und insbesondere auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit viele verwaltungsrechtliche Streitigkeiten zugewiesen sind, hat Art. 95 Abs. 1 GG (bzw. Art. 96 Abs. 1 GG a. F.) dennoch zu der „Übung“ geführt, Verwaltungsrecht im Wesentlichen auf dasjenige zu beschränken, über das die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben. Die Aufteilung der Rechtswege prägt damit die Abgrenzung der rechtswissenschaftlichen Subdisziplinen. Rechtswegspaltungen führen zu Ungleichzeitigkeiten und Unterschieden in der Behandlung identischer Probleme, aber auch zu „unnatürlichen“ Aufspaltungen einheitlicher Sachfragen.[142]
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Steuerrecht und Sozialrecht
Dies betrifft zunächst das Verhältnis zwischen dem Steuer- und Sozialrecht einerseits und dem sonstigen („allgemeinen“) Verwaltungsrecht andererseits. Mit Art. 96 Abs. 1 GG a.F./Art. 95 Abs. 1 GG schrieb und schreibt das Grundgesetz vordergründig nur die Aufteilung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten fest, die schon unter der Weimarer Reichsverfassung angelegt war: Während es entgegen Art. 107 WRV nie gelungen war, ein Reichsverwaltungsgericht zu errichten,[143] geht die Finanzgerichtsbarkeit auf die Errichtung des Reichsfinanzhofs von 1918[144] zurück. Die Sozialgerichtsbarkeit hat ihre Vorläufer einerseits in den Versicherungsämtern und dem Reichsversicherungsamt als Quasi-Gerichtsbarkeit für die Sozialversicherung[145] und andererseits im Reichsversorgungsgericht, das organisatorisch eng mit dem Reichsversicherungsamt verflochten war.[146] Von Bedeutung für den „Selbststand“ der Finanz– und Sozialgerichtsbarkeit war zudem die Fortgeltung der Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919[147] und der Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911[148] i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.12.1924[149] nach Art. 123 Abs. 1 GG[150] und damit von zwei Bereichskodifikationen von großer praktischer Bedeutung und systembildender Kraft, die jeweils als „Hausgesetz“ für die Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit verstanden werden konnten. Dies setzt sich bis heute mit der als „Drei-Säulen-Theorie“ bezeichneten Trennung zwischen VwVfG, AO und SGB X (und der für sie jeweils unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten) fort.[151] Sowohl diese Kodifikationen wie die durch Art. 95 Abs. 1 GG garantierte „eigene“ Gerichtsbarkeit mit ihrer jeweiligen Tradition ermöglichten und ermöglichen eine „Selbstgenügsamkeit“ der Praxis im und der Wissenschaft vom Steuer- und Sozialrecht. So haben sich eigenständige Rechtsprechungen und Diskurse entwickelt, die nur schwer mit den Entwicklungen im „sonstigen“ Verwaltungsrecht angeglichen werden können. Hierfür wurde oft auch kein Bedürfnis gesehen. Heute ist eher von einem wechselseitigen Lernen zwischen den Rechtsgebieten die Rede als davon, dass es sich beim Steuer- und Sozialrecht um („normales“) besonderes Verwaltungsrecht handelt.[152]
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Verwaltungsrecht und Strafrechtspflege
Für die Abgrenzung des Verwaltungsrechts zum Strafrecht[153] ist weniger die Zuweisung der eigentlichen Strafsachen zu den ordentlichen Gerichten von Bedeutung als die damit verbundene Einbeziehung auch der Tätigkeit der Strafverfolgungs– und Strafvollzugsbehörden in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte nach den §§ 94 ff. StPO, § 68 OWiG, §§ 23 ff. EGGVG und §§ 109 ff. StVollzG. Praktisch hat dies zur Folge, dass „Verwaltungssanktionen“ (insbesondere das Ordnungswidrigkeitenrecht) in Deutschland nicht wirklich zum Kanon der verwaltungsrechtlichen Handlungsformen gezählt werden.[154] Auch ist der „Justizverwaltungsakt“ i. S. des § 23 EGGVG kaum Untersuchungsgegenstand der Verwaltungsrechtswissenschaft.[155] Insgesamt zeichnet sich dieser gesamte Bereich dadurch aus, dass rechtsstaatliche und prozessuale Sicherungen, die mittlerweile im Bereich des „allgemeinen“ Verwaltungsrechts selbstverständlich sind, i. d. R. nur zeitlich versetzt übernommen werden und ein echter intradisziplinärer Diskurs allenfalls selten stattfindet.[156] § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, der den Bereich der Strafrechtspflege generell aus dem Anwendungsbereich des VwVfG herausnimmt und damit letztlich auf die besonderen Verfahrensregelungen der StPO und des OWiG verweist, verstärkt diesen Effekt noch.[157] Dies ist bedauerlich: Die für die Rechtswegfrage bedeutsame Trennung zwischen repressiver und präventiver polizeilicher Tätigkeit erscheint sachlich nicht durchgehend begründet, wie sich in den Unklarheiten hinsichtlich der Gesetzgebungszuständigkeit zur Regelung polizeilicher Maßnahmen zeigt, die beiden Zwecken dienen.[158]
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Verwaltungsrecht und Zivilrechtspflege
Entsprechendes gilt für die Justizverwaltung im Zivilrecht, deren Tätigkeit nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG nur in den Anwendungsbereich des VwVfG fällt, soweit ihre Kontrolle den Verwaltungsgerichten unterliegt. Damit werden auch hier mit der Figur des Justizverwaltungsakts (§ 23 EGGVG) viele „an sich“ verwaltende Tätigkeiten der Justiz aus der verwaltungsrechtlichen Perspektive ausgeblendet. Von größerer Bedeutung ist jedoch, dass die „Verwaltungsgerichtszentriertheit“ der Verwaltungswissenschaft auch dazu führt, dass solche Bereiche des Verwaltungshandelns aus ihrem Blick geraten, für die aufgrund der Generalklausel des § 13 GVG oder kraft abdrängender Sonderzuweisung[159] die Zivilgerichte zuständig sind.[160] Insoweit wurde bereits darauf hingewiesen, welche Auswirkungen dies (wegen Art. 34 S. 3 GG) für das Staatshaftungsrecht[161] und für das Verwaltungshandeln in Privatrechtsform[162] hat. Zu betonen ist aber auch, dass so wichtige „Referenzgebiete“ für das allgemeine Verwaltungsrecht (z. B. das Enteignungsrecht, das Energierecht oder das Kartellverwaltungsrecht [§§ 54 ff. GWB]) letztlich aus dem Blick geraten.[163]
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Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes
Indirekte Auswirkungen hat die mit der Rechtswegspaltung verbundene Begrenzung der Perspektive der Verwaltungsrechtswissenschaft auf die Bereiche, die in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen, auch für die Durchdringung des Verwaltungsorganisations- und des öffentlichen Dienstrechts.[164] Die von Art. 33 Abs. 4 GG zugelassene Eingliederung aufgrund privatrechtlicher Arbeitsverträge tätiger Arbeitnehmer in die ansonsten vollständig öffentlich-rechtlich normierte Behördenorganisation führt zu einer wenig klaren Vermischung zwischen privatrechtlichem Individualarbeitsrecht und öffentlich-rechtlichem Verwaltungsorganisationsrecht[165] und damit auch zu unklaren Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Verwaltungs- und Arbeitsgerichten. Dies zeigen deutlich die Existenz des öffentlich-rechtlichen Personalvertretungsrechts, die Tatsache, dass das Direktionsrecht des öffentlichen Arbeitgebers oftmals durch Verwaltungsvorschriften wahrgenommen wird und der Umstand, dass die Bestellung von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes zu bestimmten herausgehobenen Funktionen in der Behördenorganisation (z. B. als Behördenleiter oder zum Gleichstellungsbeauftragten) vielfach als öffentlich-rechtliche Bestellung qualifiziert wird.[166] Individualarbeitsrechtliche Sonderregelungen für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes (z. B. § 19 Arbeitszeitgesetz, § 20 Arbeitsschutzgesetz, § 14 Abs. 1 Nr. 7 Teilzeit- und Befristungsgesetz) treten ebenso hinzu wie die Schwierigkeiten bei der Abstimmung zwischen der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und der Arbeitsgerichte, wenn es um die aus Art. 33 Abs. 2 GG hergeleiteten Ansprüche auf Einstellung und Beförderung im öffentlichen Dienst geht.[167] Dies alles wird von der Verwaltungswissenschaft kaum behandelt. Sie ist im öffentlichen Dienstrecht allein auf das Beamtenrecht fokussiert und verweist in Bezug auf die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes vornehmlich auf die geltenden Tarifverträge.[168]