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D. Verwaltungsrechtswissenschaft

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Weitreichende Zustimmung zum neuen Regime

Ähnlich wie die Verwaltungsbeamten begrüßte auch die breite Mehrheit der Professoren des Öffentlichen Rechts die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, obwohl sie zuvor eher Distanz gewahrt hatten. Antiliberale, antiparlamentarische und antipluralistische Grundüberzeugungen verbanden sich mit der Hoffnung auf die Überwindung der Weimarer Staatskrise und die Herstellung eines stärker gemeinschaftsbezogenen nationalen Rechtsstaates. In den ersten Monaten entstand im Fach eine Flut schnell niedergeschriebener Veröffentlichungen, mit denen die Autoren ihre grundsätzliche Zustimmung zum neuen Regime signalisieren wollten. Viele fühlten sich „in den ersten Monaten wie im Schöpfungsrausch“.[27] Ihre Schriften ähnelten sich durch ihren irrationalen und pathetischen Duktus, durch ihre wissenschaftliche Unbestimmtheit sowie durch ihre betont politische Ausrichtung. Eine Einigung der in Weimar noch tief gespaltenen, von Klassengegensätzen geprägten Gesellschaft schien sich plötzlich abzuzeichnen und eine homogene, von artfremden Elementen gereinigte Volksgemeinschaft realisierbar. Was diese Staatsrechtslehrer verband, war die prinzipielle Zustimmung zur neuen Rechtsentwicklung und die Ablehnung des als liberalistisch, positivistisch und individualistisch verachteten Verfassungs- und Verwaltungsrechts der Weimarer Zeit. Hinzu kam, dass eine Reihe jüngerer Staatsrechtler nun auf frei werdende Lehrstühle verdrängter oder vertriebener älterer Kollegen aufrücken konnte, was ihre Kooperationsbereitschaft gegenüber dem neuen Regime noch weiter verstärkte.[28]

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Ernüchterung

Doch die hohen Erwartungen der Staatsrechtslehrer wurden rasch enttäuscht. Nach der ersten Euphorie machte sich allgemeine Ernüchterung breit. Der Ton der Veröffentlichungen wurde kühler und sachlicher. Es stellte sich nämlich nach kurzer Zeit heraus, dass das neue Regime den gleich zu Anfang eingeschlagenen Weg in Richtung einer systematischen Beseitigung von traditionellen Ordnungsstrukturen und Rechtsinstitutionen mit ungeahnter Konsequenz weiterverfolgte und in zentralen Bereichen keinesfalls gewillt war, wie von konservativer Seite gefordert, in einen festeren Zustand überzugehen und damit wie früher Rechtssicherheit zu gewährleisten. Als das erkannt wurde, zog sich die Mehrheit der Staatsrechtslehrer von der hochpolitischen Bühne zurück und versuchte, die politischen Vorgaben auf vermittelnde Weise in das bestehende Wissenschaftssystem einzufügen. Nur eine Minderheit, darunter so prominente Namen wie Carl Schmitt, Ernst Rudolf Huber, Otto Koellreutter, Theodor Maunz und Reinhard Höhn, focht auf Dauer um die rechtswissenschaftliche Meinungsführerschaft im Nationalsozialismus.[29]

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Ideologische Differenzen

Da die Weimarer Reichsverfassung, welche die Mehrheit der Staatsrechtslehrer 1919 nur widerwillig akzeptiert hatte, nicht mehr galt und alle Fragen, die damit zusammenhingen, spätestens 1935 erledigt waren, erfolgte eine Wendung des Öffentlichen Rechts zur Verwaltung und zum Verwaltungsrecht. Hier mag teilweise politische Vorsicht als Antrieb gewirkt haben, da man sich in diesem weniger brisanten, technischen Rechtsgebiet von den Blicken der NSDAP unbeobachteter äußern konnte, sofern man dem Jargon und den rechtlichen Formeln des neuen Regimes folgte. Bei der politischen Bewertung der Schriften einzelner Staatsrechtslehrer muss genau darauf geachtet werden, welche Funktion der Verwaltung jeweils zugesprochen wurde. Wenn die regelgeleitete Verwaltung die Rolle eines Hemmschuhs und eines Gegenbildes zur ungebunden agierenden Führung spielen sollte und sich als sittlicher Hort fortbestehender Staatlichkeit dem allgemeinen Auflösungsprozess womöglich aktiv entgegenstellte, dann dürfte sich dahinter eine eher konservative, traditionell etatistische Grundhaltung des Autors verbergen.[30] Wenn die Alltagsarbeit der Verwaltung hingegen zum bloßen Hilfsinstrument einer weitgehend schrankenlosen nationalsozialistischen Bewegung degradiert wurde, in die die Führung zudem nach Gutdünken intervenieren konnte, dann war dies Ausdruck für eine dezidiert nationalsozialistische Einstellung.[31] Vor dem Hintergrund solcher ideologischer Differenzen wurde – gleichsam unter dem Deckmantel einer gleichgeschalteten Wissenschaft – über verwaltungsrechtliche Fachfragen auch nach 1933 kontrovers diskutiert. Dabei ging es um die Fragen, ob das subjektiv-öffentliche Recht fortbestand oder durch das Konzept der Volksgemeinschaft zu ersetzen war, ob an der herkömmlichen Gesetzesbindung der Verwaltung festzuhalten war oder eine antipositivistische Rechtsbindung an ihre Stelle treten sollte und ob es einer traditionellen Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Schutz der Gemeinschaftsinteressen überhaupt noch bedurfte.[32]

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Wendung zur Verwaltungswirklichkeit

Doch der Trend einer Hinwendung zur Verwaltung hatte nicht nur politische Gründe, sondern dahinter verbarg sich zudem die Einsicht in den generellen Bedeutungszuwachs von Verwaltung im Kontext moderner Staatlichkeit seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert.[33] Die Staatsrechtslehrer nahmen erstmals die Realitäten des Interventions- und Massenverwaltungsstaates genauer in den Blick und erkannten zugleich, dass ohne soziale und technische Sicherungen und einen längerfristig planenden Zugriff auf die Zukunft Industriegesellschaften nicht existieren konnten. Folglich benötigte die politische Führung eine Verwaltung, die in der Gesellschaft Ordnung schuf und ihr unbedingt notwendige Leistungen zur Verfügung stellte, die den Staatsapparat am Laufen hielt und damit auf einer untergeordneten Ebene die Voraussetzungen dafür schuf, dass politische Herrschaft funktionierte und Entscheidungen von oben ihre Wirksamkeit entfalten konnten. Hier zeigt sich also, dass die ab 1933 auf radikale Weise vollzogene endgültige Loslösung vom bürgerlich-liberalen Rechtsstaat – mit seiner Trennung von Staat und Gesellschaft und seiner Fokussierung auf die staatlichen Eingriffe in die Rechte des Individuums – in der Verwaltungsrechtswissenschaft eine Hinwendung zur Wirklichkeit und einen deutlichen Innovationsschub auslöste. Der Nationalsozialismus, so der Rechtshistoriker Michael Stolleis, sprengte „die Hülle des 19. Jahrhunderts und ließ dessen Begrifflichkeit, gegen die nun heftig polemisiert wurde, zum ersten Mal distanziert und gewissermaßen ‚historisch‘ erscheinen. Das erleichterte den Abschied vom 19. Jahrhundert, öffnete den Blick auf die Verwaltungswirklichkeit und wirkte insoweit befreiend.“[34] So lag es nahe, dass es nach 1933 beispielsweise zum Versuch einer Wiederbelebung der Verwaltungslehre als eigenständige Fachrichtung kam, um so das Verwaltungsrecht gegenüber der Wirklichkeit zu öffnen, was letztlich aber scheiterte.[35] Der hier zum Ausdruck kommende Innovationsschub wirkte über das Kriegsende von 1945 fort und sollte vor allem während der 1960er-Jahre die verwaltungsrechtswissenschaftlichen Debatten beeinflussen.[36]

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Forsthoffs Konzept der Daseinsvorsorge

Als Beispiel, wie die Zeitumstände einzelne Verwaltungsrechtler zum Nachdenken über die veränderten Rahmenbedingungen der Verwaltung anregten, kann auf das Werk von Ernst Forsthoff etwa ab Mitte der 1930er-Jahre verwiesen werden, denn auch er war der Ansicht, dass „die vordringlichen Aufgaben öffentlich-rechtlicher Wissenschaft heute auf dem Gebiet der Verwaltung“ lägen.[37] Vor diesem Hintergrund erkannte er, dass die Bedeutung der Verwaltung ungemein zugenommen, ihre Handlungsformen sich grundlegend verändert hatten und der Einzelne in eine existenzielle Abhängigkeit von der Verwaltung gelangt war, wobei aus seiner Sicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus eine umfassende politische Daseinsverantwortung der politischen Gewalt verwirklicht worden sei. Im Anschluss an Karl Jaspers nannte er entsprechende Absicherungen Daseinsvorsorge. Damit wollte er die aus dem späten 19. Jahrhundert stammenden rechtsstaatlich-positivistischen, subjektivierenden Grundlagen des eigenen Fachs überwinden und stieß längerfristig einen Umdenkprozess an, welcher vor allem die Verwaltungsrechtswissenschaft der Bundesrepublik bereichern sollte.[38] Der Einsicht, dass das Verlangen des Einzelnen nach Teilhabe an staatlichen Leistungen unvermeidlich ist und daraus eine ungemeine Machtsteigerung der Verwaltung resultiert, konnte sich das Fach nicht entziehen. Forsthoff sah es nunmehr als eine zentrale Aufgabe seiner Disziplin an, eine zeitgemäße Systematik und Dogmatik des Leistungsverwaltungsrechts zu entwickeln, wobei er später nicht davor zurückschreckte, auf provokative Weise die Kontinuität seines Denkens über den Systembruch von 1945 hinweg zu betonen, so beispielsweise im Vorwort seines 1950 erschienenen und überaus erfolgreichen Lehrbuchs des Verwaltungsrechts: „Der Plan des vorliegenden Bandes und die wesentlichen Grundgedanken, nach denen er ausgeführt werden sollte, lagen bereits vor Kriegsausbruch fest […]. Nahezu die Hälfte des Buches wurde während des Krieges niedergeschrieben. Nach der Kapitulation stellte sich bald heraus, dass an der Gesamtkonzeption nichts geändert zu werden brauchte. Die Notwendigkeit und die Fragestellungen, wie sie sich bei einer realistischen und nicht ideologischen Betrachtung ergeben, waren die gleichen geblieben.“[39]

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Bedeutungsverlust der Verwaltungsrechtswissenschaft

Dabei fanden solche wissenschaftlichen Debatten gleichsam im Elfenbeinturm statt, der auf die Rechtspraxis der Verwaltung im Nationalsozialismus kaum Einfluss gewann. Die angesprochenen Diskussionen besaßen hierfür nur wenig Relevanz. Das Regime benötigte die Staatsrechtslehre primär für Propagandazwecke und um den Universitätsbetrieb am Laufen zu halten, legte auf ihren ordnenden Zugriff hingegen keinen Wert. Als etwa Werner Weber 1942 gegen die unzureichende Publikation von Rechtsvorschriften protestierte,[40] trat die Vergeblichkeit solcher Interventionen offen zutage. Während sich die Tendenzen zur Regellosigkeit speziell nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkten, erlebte die Verwaltungsrechtswissenschaft einen kontinuierlichen Bedeutungsverlust und Niedergang. Das Recht wurde nur noch gebraucht, soweit es eine stabilisierende Wirkung für die Volksgemeinschaft und eine lenkende Funktion für die Ziele des Nationalsozialismus entfalten konnte. Dem immer willkürlicher agierenden Polizeistaat hatte die Wissenschaft – im Einklang mit der Justiz – ohnehin nichts entgegenzusetzen.[41] Insofern war es folgerichtig dass die Verwaltungsrechtswissenschaft je länger der Krieg andauerte, zunehmend verstummte.[42]

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