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C. Entgegensetzung und gegenseitige Ergänzung von Partei und Staat

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Dualismus von Partei und Staat

Die gesetzlich vorgeschriebene Einheit von Partei und Staat[16] ist bis 1945 nie konsequent verwirklicht worden. Ganz im Gegenteil, die kräftezehrenden Verwaltungsgeschichte des Nationalsozialismus ist geprägt von einer aufreibenden und kräftezehrenden Konkurrenz zwischen Partei- und Verwaltungsinstitutionen. So sah sich die traditionelle Verwaltung ab 1933 immer wieder gezwungen, mit Einrichtungen der NSDAP, die nach mehr Einfluss strebten, und mit neu geschaffenen, führerunmittelbaren Sonderbehörden um die Macht zu wetteifern. In diesen Auseinandersetzungen konnte sie sich häufig nicht durchsetzen, sondern wurde in die zweite Reihe gedrängt. Nur der „Führer“ und Reichskanzler Adolf Hitler überwölbte und beherrschte die dabei entstehende „Polykratie“, da er allein die unantastbare Stellung besaß, um im NS-Herrschaftsgefüge Konflikte zu schlichten, unklare Kompetenzabgrenzungen vorzunehmen und Konkurrenzsituationen für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Der Dualismus von Partei und Staat führte nach Kriegsende zu der Selbstrechtfertigung unzähliger früherer Verwaltungsmitarbeiter, man habe nach 1933 – im Gegensatz zur NSDAP und zu den „150-prozentigen Parteijuristen“ – der von außen herangetragenen Politisierung und Ideologisierung getrotzt und die „schlimmsten Auswüchse“ der NS-Politik verhindert.[17] Diese nachträgliche exkulpierende Darstellungsweise, die auch die Historiographie über die Zeit des Nationalsozialismus lange Zeit prägte, beinhaltet ein hohes Maß an Selbsttäuschung. Denn auch wenn es eine Konkurrenz zwischen Parteivertretern und Verwaltungsmitarbeitern zweifellos gegeben hat, ist eine klare Entgegensetzung von normgeleitetem, rationalem und gleichsam anständigem Verwaltungshandeln des Staates hier und verbrecherischen Maßnahmen von überzeugten Parteivertretern und Parteiinstitutionen dort nur mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Schließlich hatte bereits Ernst Fraenkel in seiner bahnbrechenden Studie über den nationalsozialistischen „Doppelstaat“ von 1941, auf den die kategoriale Unterscheidung von regelgeleitetem Normen- und willkürlichem Maßnahmenstaat zurückgeht, auf die enge institutionelle Verflechtung beider Handlungsformen hingewiesen: „Um Missverständnisse auszuschalten, möchte ich bereits hier ausdrücklich betonen, dass ich nicht das Nebeneinander von Staats- und Parteibürokratie im Auge habe, wenn ich vom ‚Doppelstaat‘ spreche. […] Es wäre jedoch müßig, zwischen ihnen eine juristisch haltbare Unterscheidung vorzunehmen. Staat und Partei werden in zunehmendem Maße identisch und die dualistische Organisationsform bleibt nur aus historischen und politischen Gründen erhalten.“[18]

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Einflussverlust des Reichsinnenministeriums als Verwaltungsministerium

Um dies zu veranschaulichen, kann auf die Entwicklung des Reichministeriums des Innern in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verwiesen werden.[19] Dieses Ministerium wurde ab 1933 von Wilhelm Frick geleitet, einem überzeugten Nationalsozialisten.[20] Als Parteimitglied der ersten Stunde hatte er sich bereits am Münchener Hitler-Putsch von 1923 beteiligt und war zwischen 1930 und 1931 als thüringischer Staatsminister für Inneres und Volksbildung der erste Nationalsozialist, der ein hohes Regierungsamt bekleidete. Frick war der festen Überzeugung, dass eine auf traditionellen Verfahren beruhende, ordnungsstiftende, berechenbare Verwaltung, die zugleich dafür prädestiniert war, auf schöpferische Weise im Sinne des Regimes tätig zu sein, für ein funktionierendes nationalsozialistisches Herrschaftssystem unverzichtbar war. Dementsprechend wollten er und sein Ministerium bei der juristischen Kompetenz der Verwaltungsbeamten keine Abstriche hinnehmen, sie wehrten sich gegen die Verwendung schlecht ausgebildeter, aber politisch zuverlässiger Parteimitglieder, betonten stets die zentrale Bedeutung von geregelten Verfahren und versuchten, prestigereiche nationalsozialistische Gesetzesinitiativen voranzubringen, um Zuständigkeitskonflikte etwa der Verwaltungsmittelinstanzen zu lösen und dem Regierungssystem eine fest gefügte, dauerhafte Struktur zu geben. Dieses Engagement bedeutet freilich nicht, dass Frick weniger nationalsozialistisch eingestellt war als andere Mitglieder der NS-Führungsriege um Adolf Hitler. An seiner völkisch-nationalsozialistischen und dezidiert antisemitischen Gesinnung ließ Frick nie einen Zweifel aufkommen. Es ging ihm aber darum, die Resultate der nationalsozialistischen Revolution in gesetzliche Bahnen zu lenken, da sie auf diese Weise einfacher zu bewahren und effizienter zu nutzen seien. Dementsprechend spielte das Reichsinnenministerium eine zentrale Rolle beispielsweise bei der Erarbeitung der Nürnberger Rassengesetze von 1935[21] und des seit langer Zeit geplanten Deutschen Beamtengesetzes von 1937.[22] Doch mit dieser Position stieß das Reichsinnenministerium bei anderen Nationalsozialisten und zunehmend auch bei Hitler auf Widerstand, da sie von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Juristen und Beamten geprägt waren und zugleich den dynamischen, von rechtlichen Schranken losgelösten Charakter der Bewegung unbedingt bewahren wollten. Letztlich zeigte sich, dass der Führerstaat an einer längerfristigen ordnenden Fixierung und Vereinheitlichung seines Herrschaftssystems nicht interessiert war. Folglich nahm der Einfluss des Reichsinnenministeriums besonders nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kontinuierlich ab, was etwa darin zum Ausdruck kam, dass Frick immer weniger direkten Zugang zum „Führer“ erhielt. Selbst als Heinrich Himmler 1943 Frick als Reichsinnenminister ablöste, konnte das Ministerium keinen größeren Einfluss mehr entfalten.

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Enge Verknüpfung von Verwaltungsarbeit und Verbrechen

Der hier zum Ausdruck kommende institutionelle Dualismus ist aber nur die eine Seite der Medaille. Speziell in Verwaltungsbereichen, die in die Verbrechen des NS-Staates involviert waren, waren rechtsförmige Verfahren von ideologischen und willkürlichen Elementen durchdrungen. Der Normen- und der Maßnahmenstaat im Sinne Ernst Fraenkels waren hier also eng miteinander verflochten. Für das Gebiet der Finanzverwaltung erklärte schon 1934 § 1 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes folgenden Grundsatz zum Leitprinzip der Behörden: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“[23] Bei der Gesetzesanwendung, wo dem Anwender ein Ermessen aufgrund von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen zustand, wurden diese fortan konsequent im nationalsozialistischen Sinne gefüllt. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Anwendung der Reichsfluchtsteuer.[24] Ohne dass der Wortlaut der Verordnung von 1931 entscheidend verändert worden wäre, wurde diese ab 1933 gegen vertriebene Juden zweckentfremdet. Der ursprüngliche Sinn der Regelung lag darin, dass vermögende Personen durch eine hohe Steuer von einer Auswanderung abgeschreckt werden sollten. Obwohl aber Juden gar keine Steuerflüchtlinge waren, sondern durch den Entzug ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen in die Emigration getrieben wurden, fand die Regelung perfiderweise auf sie Anwendung. Damit sicherte sich der nationalsozialistische Staat mit Hilfe der Reichsfluchtsteuer einen Teil ihres Vermögens. „De facto gewann die Reichsfluchtsteuer für Verfolgte des NS-Regimes“, so die Historikerin Christiane Kuller, „den Charakter einer erzwungenen Teilenteignung. Sie steht damit exemplarisch für Gesetze, die formal nahezu unverändert fortbestanden, im Kontext anderer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen ab 1933 aber ihre Funktionsweise grundlegend veränderten und dadurch zu Verfolgungsinstrumenten wurden.“[25] Selbst die als unpolitisch erscheinende Finanzverwaltung war aufgrund eines Prozesses der kumulativen Radikalisierung immer mehr in die Judenverfolgung im Reich involviert. Häufig wartete sie gar nicht auf neue gesetzliche Vorgaben, sondern füllte kleinste Spielräume, die die Gesetze boten, konsequent im Sinne der ideologischen Vorgaben des Regimes, um die Ausplünderung und Entrechtung der Juden weiter voranzutreiben. Ihre Verstrickung in den Holocaust fand durch die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1941 gleichsam ihren bürokratischen Abschluss. Diese Verordnung regelte u. a. die Verwertung der letzten in den Wohnungen zurückgelassenen Gegenstände, die genau zu dem Zeitpunkt beginnen sollte, wenn die Juden auf dem Weg in die Ghettos und Gaskammern im Osten die Grenze des Deutschen Reiches überschritten und damit ihre Staatsangehörigkeit verloren hatten.[26]

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