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B. Verwaltungspraxis

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Vielfalt der Verwaltungen

So wie es für moderne Verwaltungen charakteristisch ist, waren die Mitarbeiter des öffentlichen Diensts genauso wie die Behörden, in denen sie tätig waren, in der Zeit des Nationalsozialismus äußerst heterogen. Große Unterschiede bestanden zwischen Angestellten und Beamten, aber auch innerhalb der Beamtenschaft etwa zwischen dem mittleren und dem höheren Dienst. Genauso unterschieden sich traditionelle Verwaltungen, beispielsweise kommunale Behörden, die Reichspost oder die Justizverwaltung, deren Arbeit von einer scheinbaren Kontinuität und Stabilität über das Jahr 1933 hinweg geprägt war – indem Akten fortgeführt, Briefköpfe weiter verwendet, reguläre Geschäftsgänge beibehalten, ältere Gesetze weiter angewendet wurden und die breite Mehrheit der Mitarbeiterschaft im Dienst blieb –, von neu geschaffenen, häufig stark ideologisch ausgerichteten Institutionen, etwa das Joseph Goebbels unterstehende Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda oder das 1939 von Heinrich Himmler geschaffene Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Letzteres ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich im Lauf der Zeit Partei- und Staatsfunktionen immer stärker vermischten, da es als oberste Instanz sowohl der Sicherheitspolizei als auch des Sicherheitsdienstes der NSDAP fungierte. Im Vergleich zu traditionellen Verwaltungsinstitutionen sollte das RSHA – ähnlich wie die zur Lösung eines konkreten Sonderproblems eingesetzten, radikalisierten und „entgrenzten“ Sonderbevollmächtigten und Kommissare – weitaus informeller, jenseits von rechtlichen Bindungen funktionieren und eine elitäre Vorreiterrolle bei der Konzeptionierung und Umsetzung der völkisch-rassenbiologischen Ziele des Regimes spielen.[13]

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Nationalsozialistische Leitbilder der Verwaltung

Doch trotz solcher markanten Unterschiede gab es Prinzipien, die die gesamte Verwaltung prägen sollten. Einmal wurde entsprechend dem Grundsatz des Führerprinzips in der Ämterhierarchie die Stellung der übergeordneten Institution und innerhalb einer Behörde die Position der Leitung generell gestärkt. Gefordert war nunmehr vollständige Autorität der vorgesetzten Instanz nach unten und absoluter Gehorsam der nachgeordneten Instanz nach oben. Verwaltungsanweisungen wurden häufig im Befehlston formuliert; manchmal wurden sie sogar mit einer Strafandrohung bei Zuwiderhandlung versehen. Sie sollten dem Adressaten keinen Interpretationsspielraum lassen und ihm das Gefühl geben, gegenüber dem Vorgesetzten absolut verantwortlich zu sein. Ergänzt wurde dieses Leitbild durch die nationalsozialistischen Grundsätze des Persönlichkeitsprinzips und der Menschenführung. Die Verwaltung sollte von leistungsstarken, schöpferischen, tatkräftigen und entscheidungsfreudigen Amtsträgern geprägt werden. Sie sollten nach außen als Individuum erkennbar sein, nicht blind den Gesetzesparagrafen folgen, sondern eigene Initiative und Tatkraft zeigen und beispielsweise Dokumente, die nach außen gingen, in freundlicher Form und mit Schlussgruß formulieren sowie persönlich unterschreiben. Sofern sie sich an die ideologischen Vorgaben des Regimes hielten, war also an ihrer Entscheidungskompetenz nicht zu rütteln. Eine intensive Abstimmung mit dem Vorgesetzten galt sogar als unnötige Verfahrensverzögerung. Nicht zuletzt sahen sich Verwaltungsinstitutionen gezwungen, zunehmend auf mündliche Kommunikationsformen zurückzugreifen, um trotz des Kompetenzchaos politischen Einfluss zu gewinnen und nicht übergangen zu werden. Da kaum mehr reguläre Kabinettssitzungen der Reichsregierung stattfanden und Gesetze stattdessen im beschleunigten Umlaufverfahren verabschiedet wurden, erhöhte sich speziell für die Ministerialverwaltung die Notwendigkeit zur informellen Abstimmung im Vorfeld. Es zeigt sich also, dass die Verwaltung im Nationalsozialismus ein Stück weit von klassischen Prinzipien einer modernen Staatsbürokratie, wie Abstraktion, Schriftlichkeit und Rationalität, abrückte.[14]

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„Dem Führer entgegenarbeiten“

Ein weiteres verbindendes Moment war der Grundsatz, offene Situationen im Zweifelsfall durch Rückgriff auf einen imaginierten Führerwillen zu entscheiden. Aufgrund von Ämterchaos, Kompetenzwirrwarr und Adolf Hitlers unstetigem Herrschaftsstil war vom einzelnen Amtsträger immer wieder ein hohes Maß an Eigeninitiative gefordert. Der Historiker Ian Kershaw hat dafür plädiert, – hier ein Zitat des Staatssekretärs im preußischen Landwirtschaftsministerium Werner Willikens aufgreifend – es als ein Leitmotiv der Verwaltung anzusehen, „dem Führer entgegenzuarbeiten“. In Situationen, in denen die Rechtslage unklar war und die nationalsozialistische Ideologie nur vage Zielvorgaben definierte, ergriffen die Beamten also selbst die Initiative und handelten, indem sie den Willen Hitlers zu antizipieren versuchten. Damit konnten sie gleichsam von unten aktiv werden und ihr Handeln zugleich in eine gedachte hierarchische Ordnung einbinden. Insgesamt profitierte das Regime zweifellos von solchen Initiativen, da damit die Verwaltungspraxis den ideologischen Zielen des Nationalsozialismus angepasst und immer weiter radikalisiert wurde, obwohl dies sich nicht notwendig aus der Rechtslage ergab.[15]

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