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VI. Unitarisierung des Landesrechts durch Bundesgerichte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 99 GG)

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Bedeutung des Landes-Verwaltungsrechts

Nach den Art. 70 ff. GG ist die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Verwaltungsrecht die Regel, eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes die Ausnahme. Dies entspricht jedenfalls insoweit auch dem tatsächlichen Bild, als die Verwaltungsorganisation (einschließlich des Landeshaushaltsrechts, des Landesbeamtenrechts, des Personalvertretungsrechts und der Regelungen der Zuständigkeiten für den Vollzug der Bundesgesetze), das Kommunalrecht, das Verwaltungsverfahrensrecht und die gesetzliche Regelung solcher Aufgaben der „allgemeinen“ Verwaltung betroffen sind, die für die „normale“ Bürgerin und den „normalen“ Bürger unabhängig von den von ihnen ausgeübten Berufen von Bedeutung sind: Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Bauordnungsrecht, öffentliche Straßen und lokale Infrastrukturen[169] (und die hierfür zu zahlenden Abgaben), (Hochschul-)Bildung, Kultur- und Medienrecht. Mangels unmittelbarer Zugriffsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers auf diese Gebiete wäre es in diesen Bereichen im Grundsatz möglich gewesen, die Eigenständigkeit der Landesgesetzgebung und der Landesrechtsprechung (und damit der Eigenstaatlichkeit der Länder) dadurch zu unterstreichen, dass das gesamtstaatliche Anliegen einer „Vereinheitlichung der Rechtsprechung“ durch Bundesgerichte nicht auf die Anwendung des durch einfaches Bundesrecht nicht determinierten Landesrechts erstreckt wird.

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Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Revisibilität von Landesrecht

Im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte stellte sich die Frage der Notwendigkeit einer länderübergreifenden Vereinheitlichung der Rechtsprechung zum Landesrecht durch Bundesgerichte ohnehin erstmals seit der von Art. 96 Abs. 1 GG a.F./Art. 95 Abs. 1 GG angeordneten Errichtung eines BVerwG.[170] Zuvor hatte es an einer Reichsgerichtsbarkeit gefehlt, die auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte der Länder (auch soweit es um die Auslegung von Reichsrecht ging) hätte hinwirken können.[171] Soweit die ordentlichen Gerichte Landes-Verwaltungsrecht anzuwenden hatten, ergab sich jedoch bereits aus der Ausweitung des revisiblen Rechts auf die Gesetze, deren „Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinauserstreckt“ (§ 511 Civilprozeßordnung i. d. F. von 1877/§ 545 ZPO i. d. F. bis zum Inkrafttreten des FGG-RG[172]), dass dem Reichsgericht die Aufgabe der Vereinheitlichung der Rechtsprechung z. B. auch in Bezug auf das preußische Recht, das gemeine Recht oder das linksrheinische Recht zukam. Hinzu trat damals schon die weitgehend das Landesrecht unitarisierende Wirkung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Staatshaftungsrecht.[173] Dass Bundesgerichte zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung zum Landesrecht kraft bundesrechtlicher Anordnung zuständig sein konnten, war damit bei Schaffung des Grundgesetzes durchaus bekannt. Das BVerfG hat daher schon früh angenommen, der Bund sei auf Grundlage seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) auch berechtigt, die Revisibilität von Landesrecht vor den Bundesgerichten anzuordnen.[174] Der auf Art. 99 Alt. 2 GG gestützten gegenteiligen Argumentation Bayerns, das Interesse des Bundes an Rechtseinheit könne das Interesse des Landes an rechtlichem Eigenleben dann nicht überwiegen, wenn der Bund mangels Gesetzgebungskompetenz das Interesse an Rechtseinheit durch die Gesetzgebung nicht verfolgen dürfe, war das BVerfG hier explizit nicht gefolgt.[175] Damit schloss sich das BVerfG der Sache nach der Argumentation von Christian-Friedrich Menger an, der in einer kurzen Urteilsanmerkung von 1959 der nur eingeschränkten Revisibilität von Landesrecht mit dem Argument entgegengetreten war, dies beruhe „auf der nachgerade etwas weltfremden Vorstellung“, dass das „Landesrecht eine selbstständige Rechtsordnung für sich sei, die sich nach eigenen Gesichtspunkten entwickelt habe und daher nur durch ‚landeseigene‘ Rechtsprechungsorgane eigenständig ausgelegt und entwickelt werden müsse.“ Jene „ganze Vorstellung von der Eigenständigkeit der Landesrechtsordnung“ sei jedoch „von den sozialen Gegebenheiten überholt“, weil jedenfalls im materiellen Verwaltungsrecht es dieselben Probleme seien, „welche durch die Landesgesetzgeber unter Verwendung ähnlicher Formulierungen durch ähnliche Regelungen geregelt würden, sodass nicht angenommen werden könne, dass sie sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln sollten.“[176] Später ergänzte Menger dies dahingehend, dass die Rechtsordnung „bei aller Differenziertheit ihrer Regelungen und bei aller Unterschiedlichkeit der Quellen, aus der sie gespeist“ werde, „doch ein in sich geschlossenes einheitliches Ganzes“ sei.[177]

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Auswirkungen der Revisibilität des Grundgesetzes

Auf derselben Linie lag es, die Revisibilität des Grundgesetzes als „Bundesrecht“ und damit die Zuständigkeit der Bundesgerichte zur Kontrolle der Beachtung bundesverfassungsrechtlicher Maßstäbe bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht anzuerkennen. Insoweit führte die unmittelbare Bindung der Länder an das Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) einschließlich der unmittelbar geltenden Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) zu einer Unitarisierung des Landes-Verwaltungsrechts durch die Rechtsprechung der Bundesgerichte. Dies betraf auch Bereiche, in denen der Bund eine solche Vereinheitlichung durch Gesetzgebung nicht hätte herbeiführen können. Vehikel ist insoweit letztlich die verfassungskonforme Auslegung des Landesrechts, deren Missachtung eben zu einer Verletzung von Bundes(verfassungs)recht führt und damit revisibel wird.[178] Dies führt insbesondere zur Revisibilität der Vereinbarkeit der Auslegung und Anwendung landesrechtlicher Vorschriften mit den Grundrechten des Grundgesetzes[179] einschließlich des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG),[180] des Verhältnismäßigkeitsprinzips,[181] des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes[182] und weiterer rechtsstaatlicher Grundsätze oder auch des Art. 28 Abs. 2 GG.[183] Dies schließt auch die Prüfung ein, ob sich die Verwaltungsgerichte der Länder bei der Anwendung und Auslegung des Landesrechts so weit von dem angewendeten Gesetz entfernt haben, dass der Zusammenhang mit dem Gesetz nicht mehr hinreichend erkennbar und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt – auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung – verständlich ist.[184] Zudem nimmt das BVerwG eine Verletzung von Bundesrecht auch an, wenn sich ein Landes-Verwaltungsgericht bei der Auslegung des Landesrechts zu Unrecht durch bundesrechtliche Vorgaben gebunden sieht.[185] Damit zieht das BVerwG auch der Weiterentwicklung bundesrechtlicher Rechtsgarantien durch die Gerichte der Länder Grenzen. Will ein Landesgericht die Entwicklung allgemeiner bürgerschützender Rechtsgrundsätze vorantreiben, tut es daher gut daran, diese Rechtsgrundsätze aus Landesverfassungsrecht herzuleiten. Andernfalls muss das Landesgericht befürchten, dass das BVerwG dieser Entwicklung mit dem Argument, sie sei bundesverfassungsrechtlich nicht zwingend, Einhalt gebieten wird. Nicht nur in der frühen Bundesrepublik, sondern bis heute baut daher die Konstitualisierung des Verwaltungsrechts auf dem Modell eines unitarischen Bundesstaats auf.[186] Dieses Modell liegt damit trotz aller Föderalismusreformen auch dem aktuellen Verwaltungsrecht noch zugrunde. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass das BVerwG auch das Unionsrecht als „Bundesrecht“ i. S. d. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ansieht und damit auch kontrolliert, ob landesrechtliche Normen in Einklang mit unionsrechtlichen Maßstäben ausgelegt und angewendet werden.[187] Dass dies alles zu einem faktischen Ausschluss landesrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten und damit nicht nur zu einer Unitarisierung, sondern einer Versteinerung des Landesrechts führen kann, zeigen die sehr weitreichenden Anforderungen, die das BVerwG aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Bestimmtheitsgebot für das Kommunalabgabenrecht herleitet[188] sowie aktuell die Grenzen, die das BVerwG aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV der Sonntagsöffnung von Ladengeschäften zieht. Letzteres schließt „liberalere“ Landesgesetzgebung letztlich aus und lässt durch erzwungene restriktive verfassungskonforme Auslegung die Überführung der Gesetzgebungskompetenz für das Ladenschlussrecht auf die Länder[189] teilweise obsolet werden.[190]

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Unitarisierungswirkung des Staatshaftungsrechts

Unitarisierende Wirkung kommt auch der Rechtsprechung des BGH zum Staatshaftungsrecht zu. Dies gilt insbesondere, soweit sie als (drittschützende) Amtspflichten die Pflicht zur Beachtung von hohen (nicht zwingend aus den grundrechtlichen Schutzpflichten herleitbaren) richterrechtlich entwickelten Mindeststandards (auch in Form von Verkehrssicherungspflichten[191]) für die landesrechtlich geregelte (und vielfach nur landesrechtlich regelbare) Leistungs- und Infrastrukturverwaltung oder auch für die Prüfprogramme und die Schutzpflichten in landesrechtlich geregelten Genehmigungsverfahren aufstellt.[192] Gerade in der Rechtsprechung des BGH zum Landes-Verwaltungsrecht ist auch eine gewisse Tendenz zu einem bundesweit einheitlichen Verständnis landesrechtlicher Regelungskomplexe selbst bei unterschiedlicher Ausgestaltung dieser Komplexe im jeweiligen Landesrecht zu erkennen. Der BGH neigt insoweit dazu, durch „wertenden intraföderalen Rechtsvergleich“ aufgrund einer unausgesprochenen Erwartung, dass ähnliche Fragen ähnlich gelöst werden, trotz im Detail unterschiedlicher Ausgestaltung in den Ländern letztlich eine Art neues „gemeines Recht“ zu schaffen, von dem sich der Landesgesetzgeber nur schwer distanzieren kann.[193]

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