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A. „Verfassungsrecht vergeht – Verwaltungsrecht besteht“
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Verwaltung und Verfassung
„Verfassungsrecht vergeht – Verwaltungsrecht besteht“ ist eines der bekanntesten juristischen Zitate.[1] Es stammt aus der Weimarer Republik, aus dem Vorwort der 1924 erschienenen dritten Auflage des „Lehrbuchs des Verwaltungsrechts“ von Otto Mayer.[2] Die Aussage ist klar und unmissverständlich. Der Wandel der Staatsform, von der Monarchie zur Republik, hat auf die öffentliche Verwaltung keinen Einfluss und darf auf sie auch keinen solchen haben. Mayer war mit gutem Beispiel vorangegangen. Der führende Verwaltungsrechtler des Zweiten Deutschen Kaiserreichs war Vernunftrepublikaner geworden und damit in seiner Disziplin kein Einzelfall.[3] Dies entsprach dem methodischen Verständnis einer Wissenschaft, die sich als positivistisch, aber auch als „unpolitisch“ verstand und korrespondierte mit dem Selbstverständnis der Träger der Verwaltung, der Beamten. Das galt im Konstitutionalismus, war aber auch für die Republik ausdrücklich sanktioniert worden. Art. 130 Abs. 1 WRV bestätigte das Ideal des unpolitischen Beamten und damit der unpolitischen Verwaltung:[4] „Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei.“ Das war nicht die gelungenste Formulierung der Reichsverfassung, eine überflüssige Volte gegen politische Parteien, die nur in diesem negativen Zusammenhang im Verfassungstext erwähnt wurden,[5] obwohl der Gesetzgeber bereits im Kaiserreich zunehmend von ihnen Kenntnis genommen hatte, worauf Heinrich Triepel 1927 in seiner oft auf Parteienkritik reduzierten Berliner Rektoratsrede hinwies.[6]
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Vorbild Frankreich
Die von Otto Mayer festgestellte Kontinuität in der Verwaltung korrespondierte mit der staatsrechtlichen Debatte, ob das 1871 von Otto von Bismarck gegründete Reich und die „Weimarer Republik“ den gleichen Staat bezeichneten.[7] Auch wenn im Kontext des Jahres 1924, die Republik hatte sich wider Erwarten konsolidiert, bei Mayer das Bekenntnis zu Kontinuität seines Faches und Stolz auf sein Lehrbuch im Vordergrund standen, war seine Aussage erheblich älter.[8] Seit seiner Zeit an der Universität Straßburg mit französischem Verwaltungsrecht und dessen Schrifttum vertraut,[9] hatte Mayer es 1886 vom „französischen Standpunkt aus“ als „ganz natürliche[n] Gegensatz“ bezeichnet, dass „Verfassungsrecht wechselt“, aber Verwaltungsrecht besteht und sich dabei auf den französischen Verwaltungsrechtler Théophile Ducrocq bezogen.[10] Sieben Jahre nach dem Verfassungswechsel vom Zweiten Kaiserreich zur Dritten Republik, zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie Mayer 1924, hatte Ducrocq 1877 den Gegenstand seines Fachs umschrieben mit „un très grand nombre de lois administratives, dont l‘ensemble forme une partie notable du droit administratif, et qui la plupart (non pas toutes) ont l‘heureuse fortune de survivre aux effondrements divers du droit constitutionnel de la France“, sinngemäß „eine sehr große Zahl Verwaltungsgesetze, die den bedeutendsten Teil des Verwaltungsrechts bilden, und von denen der ganz überwiegende Teil (aber nicht alle) das glückliche Schicksal hatte, in den verschiedensten Umbrüchen des französischen Verfassungsrechts zu überleben.“ In der Weimarer Republik wurde Frankreich infolge des verlorenen Ersten Weltkriegs stark durch eine „geopolitische Brille“ gesehen, als Staat mit „natürlichen“ Grenzen, die auf den im deutschen Kontext unbeliebten „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. zurückgingen, der dem héxagone die vertraute Gestalt zwischen Pyrenäen, Mittelmeer, Atlantik, Ärmelkanal, Alpen und Rhein gegeben hatte;[11] auch die „unnatürliche“ Grenze in Flandern konnte im nur wenige Jahre zurückliegenden Ersten Weltkrieg nicht überwunden werden.[12] Diese Grenzen hatten den stabilen Rahmen einer Verwaltung geschaffen, die sich im „langen 19. Jahrhundert“ gegenüber drei Republiken, zwei Kaiserreichen und einem restaurierten Königreich mit zwei Verfassungen als Anker der Stabilität erweisen sollte.[13] Der französischen Kontinuität lag auch die jeweils erneuerte verfassungsrechtliche Dezision zugrunde, die revolutionäre Landkarte unverändert zu belassen.[14] Die annähernd gleich großen départements waren 1790 ohne Rücksicht auf historische Landschaften gebildet worden, ihre Benennung nach „natürlichen“ Flüssen oder Gebirgen vermied jede Anknüpfung an die vorrevolutionäre Ordnung;[15] ihr deutsches Äquivalent waren die von Maximilian Joseph von Montgelas 1808 und 1817 eingeführten bayerischen „Kreise“, die vermeintlich „historische“ Namen als Regierungsbezirke erst 1838 erhielten.[16] Die Größe der départements richtete sich nach der an einem Tag von der Präfektur zu Pferd zurückzulegenden Entfernung. In Frankreich hatte die Kontinuität der Verwaltung auf Staatsklugheit beruht, in den Worten von Alexis de Tocqueville: „C'est que, depuis [17]89, la constitution administrative est toujours restée debout au milieu des ruines des constitutions politiques.“[17]