Читать книгу Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche - Guido Fuchs - Страница 12
3. Nicht Zeit-gemäß Zuspätkommen und verfrühtes Gehen
Оглавление„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Dieser berühmte Satz, den Michail Gorbatschow tatsächlich wohl nie gesagt hat, hätte im 5. Jahrhundert in Syrien möglicherweise so gelautet: Wer zu spät kommt, den bestraft der Diakon! Denn hier gab es – und das belegt eine Kirchenordnung aus ebendieser Zeit und Region – den Brauch, die Kirche nach Beginn des Gottesdienstes zu schließen. Wer zu spät kam, musste warten, ähnlich wie heute im Theater, wenn der erste Akt bereits begonnen hat. Erst zum Allgemeinen Gebet, den Fürbitten, wurde die Kirche geöffnet, und der Diakon „strafte“ die Zuspätkommenden auf subtile Weise, indem er eine Fürbitte für sie einschob, in der er vor aller Ohren um Besserung für diese Sünder bat …
Zu den ältesten Verstößen gegen das angemessene Benehmen im Gottesdienst zählen das Zuspätkommen und das vorzeitige Verlassen des Kirchenraumes. In der Zeit der frühen Kirche, da der „Gottesdienstbesuch“ noch nicht vom persönlichen Ermessen des Einzelnen geprägt, sondern selbstverständlicher Ausdruck des Glaubens und der Gemeindezugehörigkeit war, betraf dieses Verhalten auch die Gemeinschaft der Gläubigen. Diese Selbstverständlichkeit der Teilnahme am Gottesdienst änderte sich freilich in den folgenden Jahrhunderten, wie Adolf von Harnack schrieb: „Wo das Christsein zur Gewohnheit geworden war, zeigten sich schon im 3. Jahrhundert Überdruss am Kirchengehen, daher Versäumnis des Gottesdienstes, Entweihung des Gottesdienstes durch Allotria und Geschwätz, vorzeitiges Verlassen der Versammlung, Kirchenbesuch nur an Festtagen u. ä.“ (Die Mission und Ausbreitung des Christentums, 1915).
In späteren Jahrhunderten mag auf katholischer Seite die Betonung der Wandlung als des Höhepunktes der Messe mit ein Grund für späteres Kommen und früheres Weggehen gewesen sein. Der heute „Wortgottesdienst“ genannte erste Teil der Messe konnte, als „Vormesse“ bezeichnet, auch den Eindruck des nicht so wichtigen Teils des Gottesdienstes erwecken. Bei Wallfahrtsgottesdiensten konnte oft noch bis zum Evangelium gebeichtet werden.