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Zuspätkommen

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Das Zuspätkommen zum Gottesdienst wird durchgängig als Unart gesehen. Es sind mehrere Aspekte, die dabei eine Rolle spielen. Die Vorstellung, dass die Gottesdienstgemeinschaft erst durch das Zusammenkommen aller zustande kommt, wird in jüngerer Zeit wieder in den Blick genommen; das Zuspätkommen konterkariert dieses Verständnis. Es kommt auch vor, dass manche Menschen gern später kommen, um aufzufallen und sich dadurch bewusst außerhalb der Gemeinschaft oder über die anderen zu stellen. Schließlich richtet es sich gegen die Pünktlichkeit, die wiederum in vielen Gesellschaften ein Ausdruck der allgemeinen Ordnung ist – wie es schon in der Benediktsregel dargestellt wird, wo sich das 43. Kapitel ausführlich mit dem Zuspätkommen beim Gottesdienst und bei Tisch befasst. Zuspätkommen gehört sich also aus verschiedenen Gründen nicht.

„Die Gemeinde versammelt sich. Darauf tritt der Priester an den Altar.“ So lautet der erste Satz der „Feier der Gemeindemesse“ im Deutschen Messbuch von 1975. Das Zusammenkommen konstituiert die Gemeinschaft als Trägerin des Gottesdienstes. Es passt, dass in der Folge des II. Vatikanischen Konzils unter diesem Aspekt auch die Versammlung zum Gottesdienst neu gesehen wurde, als eine Begegnung mit dem Herrn, eine Begegnung mit der Gemeinschaft der Gläubigen, ohne die man auf Dauer nicht Christ sein kann. „Komm her, freu dich mit uns, tritt ein … an des Herrn Gemeinschaft nimm teil“, heißt es in einem Lied im katholischen Gesangbuch. Das Zuspätkommen zum Gottesdienst verstößt gegen dieses Verständnis und ist nicht nur eine schlechte Angewohnheit oder die berühmte „katholische Krankheit“, wie man früher sagte. Mit dem Zuspätkommen bringt man sich vielmehr um die Frucht des Gottesdienstes.

Bischof Caesarius von Arles, sicher einer der begabtesten Prediger in der frühmittelalterlichen Kirche, benutzte das Bild der Biene, die emsig zu ihrer Arbeit fliegt, um den Gläubigen die Bedeutung des Gottesdienstes und der pünktlichen Teilnahme daran ans Herz zu legen: Der Zuspätkommende versäumt die Schriftlesungen des Wortgottesdienstes, in dem die Zellen im Inneren der Gläubigen zur Aufnahme des heiligen, himmlischen Honigs in der nachfolgenden Eucharistie vorbereitet werden (Sermo 207).

Die Pünktlichkeit der Gottesdienstteilnehmer wurde und wird daher immer wieder eingefordert – auch um die Kirchenzucht insgesamt zu stärken. In seinem Buch „Aus dem Priester- und Seelsorgleben“ rät Johann Baptist Buohler Mitte des 19. Jahrhunderts: „Der Gottesdienst muß zur festgesetzten Stunde beginnen. Oder wozu hat man sonst eine bestimmte Stunde festgesetzt? Der Gesetzgeber muß zuerst das Gesetz strenge halten; rüttelt er selbst an demselben, so wird bald jeder Kirchgänger sich Freiheiten erlauben, welche die größte Unordnung herbeiführen. Die nachlässigen und faulen Kirchgänger kommen dann immer noch später und laufen in die Kirche hinein, wann es ihnen beliebt, die fleißigen aber ärgern sich, weil sie über Gebühr warten müssen und schlagen sich zuletzt auch zu den Faulen. […] Es gibt nämlich in jeder Gemeinde Personen, denen das Zuspätkommen zur zweiten Natur geworden ist. Diese Unnatur muß aber ein ordnungsliebender Seelsorger mit Liebe oder mit Ernst solch eigensinnigen Köpfen austreiben. Die passenden Mittel muß jeder Seelsorger nach den Bedürfnissen seiner Gemeinde selbst ausfindig machen.“

Ein in jedem Fall passendes Mittel ist das gute Vorbild. Der Pastoraltheologe und spätere Regensburger Bischof Johann Michael Sailer bemühte sich schon in seinen „Vorlesungen aus der Pastoraltheologie“ (1788/89), den Priestern die Notwendigkeit des pünktlichen und gemeinsamen Beginns des Gottesdienstes ans Herz zu legen. Die Priester sollen dabei Vorbild sein und der Gemeinde auch die Bedeutung der Pünktlichkeit immer wieder ans Herz legen: „Um einer großen Gemeinde das pünktliche Zusammentreffen bei dem Anfange des Gottesdienstes möglich zu machen, sorget der Liturg, daß die Glockenzeichen, die er nach den Bedürfnissen des Volkes festgesetzet, ordentlich gegeben werden. […] Wenn die Glocken zusammenschlagen, dann wissen alle Pfarrgenossen: jetzt fängt der Gottesdienst an, und mit dem letzten Schlage steht der Priester schon am Altare. Denn das Beispiel der Pünktlichkeit, das der Pfarrer giebt, muß dem Geläute erst Nachdruck verschaffen. Die Kraft des Glockenklanges, die das empfängliche Gemüth wohl fühlet, so wie die Bestimmung der Glocken, weiß der Liturg, bei gegebenen Anlässen, der Gemeinde nahe zu legen.“

Es wundert nicht, dass die Pünktlichkeit des Kommens sowie das Bleiben bis zum Ende des Gottesdienstes auch immer wieder in den Beichtspiegeln (der Gebet- und Gesangbücher) angefragt wurden: „Bin ich zu spät gekommen oder zu früh fortgegangen?“ – „Habe ich an Sonn- und Feiertagen die heilige Messe aus eigener Schuld versäumt? Habe ich nur äußerlich daran teilgenommen? Bin ich zu spät gekommen? Zu früh weggegangen? Bin ich in der Kirche ehrfurchtslos gewesen?“

Auch auf diese Weise konnte die Bedeutung der gemeinschaftlichen Feier eingeschärft werden. Im katholischen Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ von 1975 wie auch von 2013 spielen die Fragen nach Zuspätkommen und Zufrühgehen keine Rolle mehr in den Beichtspiegeln – vielleicht auch ein Beleg dafür, dass dies in jüngerer Zeit nicht mehr so oft vorkommt wie früher.

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche

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