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Stehen, Sitzen, Lümmeln

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Die ursprüngliche Haltung beim Gottesdienst ist die des Stehens, sie drückt die „Freiheit des Christenmenschen“ aus, der durch die Auferstehung befreit ist und aufrecht vor Gott stehen kann. Das Knien ist ein Ausdruck des Sich-klein-Machens, es wird daher im Zusammenhang von Bußriten oder der Anbetung eingenommen. Als Haltung der eucharistischen Frömmigkeit kommt es etwa ab dem Hochmittelalter in die Liturgie. Kniebänke sind bis heute ein Kennzeichen katholischer Kirchen, ebenso wie der Tabernakel, der das Allerheiligste birgt. Das Sitzen kommt relativ spät in die Liturgie; es ist zunächst die Haltung des Lehrens, wie es auch schon biblisch zum Ausdruck kommt (vgl. Mt 5,1–2). Im Begriff „Lehrstuhl“ hat sich das noch erhalten. Das Sitzen ist aber auch Ausdruck des meditativen Hörens.

Grundsätzlich hat die Einführung von Kirchenbänken auch dafür gesorgt, dass weniger in den Kirchen herumgelaufen wurde, was sich noch länger in den südlichen Ländern Europas hielt, wie es Peter Hersche für die Barockzeit schildert. Insofern trugen die Kirchenbänke zu einer Disziplinierung bei, wobei man früher seltener saß als heute. Man kann – zumindest in Deutschland – beobachten, dass das Sitzen inzwischen zur vorrangigen Haltung im Gottesdienst geworden ist. Mehr als die beiden anderen Haltungen des Stehens oder Kniens verführt das Sitzen aber auch zu einem „Es-sich-bequem-Machen“, was der heiligen Handlung der Liturgie nicht angemessen ist bzw. eine andere Einstellung zum Gottesdienst ausdrückt. Den Eindruck, den der Schriftsteller Martin Leidenfrost von einem Gottesdienst in Pressburg schildert, kann man gelegentlich auch in einer katholischen oder evangelischen Kirche bei uns gewinnen:

Die meisten verfolgten den Gottesdienst wie einen Vortrag. Einige falteten die Hände, manche schlugen die Beine übereinander, das Mädchen vor mir legte den Kopf auf die Schulter ihres rastagelockten Freundes. (Martin Leidenfrost, Die Welt hinter Wien, 2011)

Tatsächlich macht diese Haltung der übereinandergeschlagenen Beine den Eindruck des Passiven: Mal sehen, was da kommt. Jedenfalls ist sie eine unliturgische Haltung, wie es Walter Kempowski in seinem Roman „Heile Welt“ (1998) zum Ausdruck bringt:

Am Morgen fuhr Matthias zunächst noch zur Kirche. Die Predigt handelte von dem kleinsten Tüttel des Gesetzes, den man nicht weglassen darf, und Pfarrer Ortlepp brachte eine Menge Beispiele von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, von Anstand und von Sitte. […] Wer erinnere sich nicht an dieses hässliche Bild, vor einigen Jahren um die Welt gegangen, von den Oxford-Studenten, wie sie nicht einmal die Hände aus den Taschen nahmen, als Bundespräsident Heuss, dieser gebildete, feinsinnige Demokrat, ihnen einen Besuch abstattete. Wer Autoritäten nicht achtet, nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, der verletzt die Spielregeln, deren Einhaltung Demokratie überhaupt erst möglich macht. Wieviel mehr im Raum der Kirche, dem Vorhofe Gottes? Wer in einem Gotteshaus, zum Beispiel, in der Kirchenbank sitzend die Beine übereinanderschlägt, der beweist schon damit, dass für ihn das Bethaus eine Jahrmarktsbude ist.


Predigt von der Kanzel, aus: Der Seelen Wurzgart (1483)

Das Sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen gab es allerdings auch schon früher, wie ältere Darstellungen, etwa aus der Reformationszeit, zeigen.

In orthodoxen Gotteshäusern, wo man überwiegend steht und es nur wenige Sitzgelegenheiten gibt, wird streng darauf geachtet, dass man nicht salopp sitzt: Diese Erfahrung habe ich selbst auch als Schüler gemacht, als mir einmal im byzantinischen Gottesdienst des Klosters Niederaltaich ein Pater das Übereinanderschlagen der Beine verbat. Diese Haltung ist nicht nur eine unliturgische; weil die Beine überkreuzt sind, wirken sie auch noch sakrilegisch, wie der Moderator und Schriftsteller Roger Willemsen im orthodoxen Sofia erfahren musste:

Ein Pope singt im hellen Tenor, ein Knabe steht, die hohe tropfende Kerze in der Hand, mit iPod-Stöpseln im Ohr und verneigt sich betend. Man atmet die Luft aus einem Schacht ins Mittelalter. Ein Kustode kommt und fordert mich auf, nicht mit übereinandergeschlagenen Beinen zu sitzen. Warum? Er deutet zum Altar: „Das Kreuz ist IHM allein vorbehalten.“ (Roger Willemsen, Ein Traum, der wachsen muss, SZ Magazin 20/2014)

Diese Haltung der übereinandergeschlagenen Beine kann man vor allem in Kirchen finden, die bestuhlt sind – in Sitzbänken ist sie nur schwer möglich.

Doch auch in Kirchenbänken kann man es sich „bequem“ machen – und das nicht erst seit unserer Zeit. So beklagte Johann v. Matha Haberl in seiner „Darstellung der kirchlichen Gebräuche und Ceremonien“ Mitte des 19. Jahrhunderts: „Gehe man nur in die nächst beste Kirche und betrachte man die Leute dort, wie sie’s machen. Der sitzt, aber fest sitzt er vom Anfang bis zum Ende der Messe; wenn er nicht sitzen kann (kein Platz für ihn ist), so geht er gar nicht in die Kirche; und der oder die lümmelt da, als ob sie nicht wüßten, wo sie seien, oder als ob sie es absichtlich antrügen und berechneten, sich möglichst ungebührlich und ärgerlich zu benehmen.“

Etwa um dieselbe Zeit beschwerte sich ein anderer Autor über das schlechte Benehmen während der Gottesdienste auf dem Land; auch hier war das „Es-sich-bequem-Machen“ ein Übel: „Andere, und zwar viele, fangen, sobald die Predigt beginnt, alsbald zu schlafen an, und schlafen fort noch lange während des übrigen Gottesdienstes. Ich sah diese Ungeheuer an, und erblickte sie selbst während der heiligen Wandlung schlafend, es stund keiner mehr auf, sich mit dem Kreuze zu bezeichnen, sondern sie blieben sitzen, wie Mehlsäcke an die Wand gelehnt.“

Ein probates Mittel gegen das Lümmeln schien dem preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm im 18. Jahrhundert das Entfernen der Lehnen an den Bänken der Garnisonskirchen zu sein; während der langen Predigten sollten seine Soldaten, die an den Gottesdiensten teilnehmen mussten, nicht die Möglichkeit haben, es sich bequem zu machen …

Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche

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